Freitag, 29. Oktober 2004

Souvenirs

Pilgerurkunde

im Blubberbad in Baños de Montemayor

Rückseite des Credencial dos Peregrinos mit Stempeln

Donnerstag, 28. Oktober 2004

Tag 42, Von Puente Ulla nach Santiago

Wegbeschreibung und Bilder

Ich erwache schon vor 3 Uhr mit einem Schweissausbruch. Danach schlafe ich nur noch in Etappen. Um 8.30 Uhr stehe ich auf. Es ist noch dunkel und regnet in Strömen. Die Lastwagen auf der Brücke wirbeln Gischtfahnen hinter sich her. Unter dem Schirm mache ich mit Putter einen Morgenspaziergang. Dann setze ich mich zum Kaffee in die Beiz und warte auf eine Regenpause. Hadere ein bisschen mit mir, dass ich das trockene Wetter von gestern nicht ausgenützt habe. Stelle mir vor, wie ich wieder durch und durch nass werde und so triefend in Santiago ankomme. Dann ist die Regenpause da. Der Himmel licht und die Wirtin winkt mir aufmunternd zu. Nichts wie los. Das erste Stück kenne ich schon von gestern. Dann geht es über die N525 und rechts eine kleine Asphaltstrasse hoch. Guter Belag bei Regen. Lässt das Wasser schnell ablaufen. Etwa 1 Stunde hält der Himmel dicht, dann fängt es an zu tropfen und dann zu giessen. Da taucht rechts doch tatsächlich nochmal eine neue Albergue auf mit einem Vordach, das mir wunderbaren Unterschlupf bietet. Einen Moment überlege ich, ob ich den Schlüssel holen soll. Alles fühlt sich nass und kalt an. Doch wenn ich mich jetzt ausziehe, dann dauert es Stunden, bis ich wieder in die Kleider kann. So entscheide ich mich für aushalten und abwarten, bis sich die Wolke ausgeregnet hat. Dauert nicht mal lange und dann zeigt sich sogar blauer Himmel.
Muss mich zusammennehmen um nicht verkrampft loszupreschen, sondern das lockere Gehen beizubehalten. Wie ein Wunder bleibt der Himmel über mir blau und die Wolkenberge scheinen von einer unsichtbaren Kraft aufgehalten. Erst 5km vor Santiago holt mich nochmal eine graue Regenwolke ein. Doch gerade als sie ihre Last fallen lässt, taucht rechts ein Crucero auf und eine kleine Kapelle. Aber ohne Vordach. Denke noch, die hätten besser an den Regenschutz der Pilger gedacht statt immer wieder das Leiden Jesu an Cruceros festzunageln. Doch neben der Ermita steht ein dicker, alter Baum, der sich mir als Regen- und Windschutz anbietet. Für mich ein Zeichen, dass Mutter Natur für mich besser sorgt als die Katholiken mit ihrem Glauben. Und so löst sich auch die Frage, welche Bedeutung ich den Ritualen von Santiago geben soll. Werde sie mir kritisch und ohne Erwartungen ansehen und mitmachen. Einmal steigen Tränen auf aus tiefer Freude, diesen Weg zu gehen, gegangen zu sein.
Über den Camino Real, wo ich nochmal von Stein zu Stein meine Schritte achtsam setze, geht es ohne lange Anlaufzeit direkt ins Zentrum von Santiago. Von weitem schon habe ich die Türme der Kathedrale entdeckt. Aber jetzt mittendrin fühle ich mich verloren und ohne Orientierungspunkt. Ich frage mich durch. Die Kathedrale ist wieder so ein montröses Bauwerk, das in mir keine Begeisterung, sondern nur kritische Fragen aufwirft. Im Pilgerbüro erhalte ich dann die Compostela und einen Stadtplan. Und dann belohne ich mich erstmal mit Gnocchi al noci. Lecker. Überhaupt scheint auch diese Stadt wieder ein Schlaraffenland zu sein.

Mittwoch, 27. Oktober 2004

Tag 41, Von Bandeira nach Puente Ulla

Wegbeschreibung und Bilder

Nach der stürmischen Nacht ist der Morgen windstill und ohne Regen. Mit Kaffee und Croissant im Bauch geht es los über nasse Asphaltsträsschen. Immer wieder lacht die Sonne herunter. Und Westwind weht mir um die Nase, verheissungsvoll lockend. Irgendwann verliere ich den Weg und lande auf der N525. Ich biege wieder rechts in den Wald ein und sofort verdüstert sich alles. Doch an der nächsten Weggabelung leuchtet schon von weitem die Jakobsmuschel. Beim Santuario de Gundian mache ich eine Pause, trinke von der Quelle und schaue auf die imposante Eisenbahnbrücke, die die Schlucht der Ulla überspannt. Schöner, ruhiger Platz. Dann breche ich wieder auf. Komme über eine Brücke nach Ponte Ulla. Gleich rechts nach der Brücke verlockt mich das Restaurante Rios mit schön gedeckten Tischen. Doch im Führer steht etwas von einem wunderbaren Hostal, das ich mir in den Kopf gesetzt habe. Eine längere Suche beginnt. Über eine Stunde irre ich umher. Torschlusspanik! Schliesslich kehre ich um und lande im Restaurante Rios bei einer netten Wirtin. Das Menu del dia besteht aus Favada, einer üppigen Bohnensuppe, und Bacalhão mit Kartoffeln und Erbsen. Zum Dessert hausgemachten Arroz con Leite mit Zimt. Dann weiss ich nicht so recht und frage mal nach Habitaciones. Natürlich hat es und Putter darf auch mit. So mache ich erstmal Siesta nach dem üppigen Mahl.
Danach macht mich die Dusche wieder munter und die Neugier zieht mich hinaus. Doch da treibt mich der Regen wieder zurück. So setze ich mich auf's Bett, beobachte die Wolken und lasse mit ihnen die Erinnerungen vorbeiziehen. Tränen steigen auf. Was ist mir wichtig geworden? Meine Ängste überwinden zu können und mein Herz den Menschen ein bisschen mehr zu öffnen, überhaupt mein Herz zu spüren und auf seine feine Stimme zu hören.
Abends geniesse ich nochmal Käse, Brot, Membrillo und Wein. Und friere danach auch nicht mehr. Morgen geht es nach Santiago.

Dienstag, 26. Oktober 2004

Tag 40, Von Estacion Lalin nach Bandeira

Wegbeschreibung und Bilder bis Silleda
Wegbeschreibung und Bilder ab Silleda

Morgens um halb neun ist noch alles still. Doch der Schlüssel steckt und so drehe ich mit Putter eine Runde in den kalten, aber freundlichen Morgen hinein. Kaffee und 2 Cookies in der Taberna do Vento und dann noch ein Früchteteller bei meiner Wirtin. So gestärkt geht es gutgelaunt unaufhaltsam Richtung Santiago. Die Wege sind immer noch schlamm- und regengepfützt. Wunderschöne Römerbrücke über den Rio Deza und herrlich urchige, moosige und flechtenbehangene Eichen- und Kastanienwälder. Nebelschwaden steigen auf und verflüchtigen sich mit der Zeit wieder.
2km vor Silleda raste ich bei einem Kirchlein mit Crozeiro und esse meinen Apfel, als eine Frau auftaucht. Wir kommen über das übliche Vorgeplänkel ins Gespräch. Als ich den Verkehr und den Lärm erwähne und frage, ob sie gut schlafen kann, kommt sie plötzlich auf ihre Nerven zu sprechen. Tränen treten in ihre Augen und sie erzählt mir die traurige Geschichte ihres Lebens. Dass ihr Mann ihr Hörner aufgesetzt hat und nicht arbeiten will. Dass sie nur im Haus bleibt wegen ihrer Schwiegermutter, um sie zu pflegen. Und viele Details, die ich nicht ganz verstehe und auch nicht unbedingt verstehen will. Ich umarme sie, um ihr ein bisschen Trost und Liebe zu geben. Dann ziehe ich weiter und sie lässt ihre Schafe auf die Weide. Danach denke ich, wie verrückt, dass sie die Mutter pflegt, die diesen tollen Sohn aufgezogen hat. Und warum mir die Frauen hier immer wieder von der Untreue ihrer Männer erzählen. Das scheint einfach die Natur der Männer zu sein. Und es ist mein Problem, wenn ich mich dadurch betrogen fühle. Jeder sollte doch seine Natur leben können.
Auch die vielen Kirchen hier und die Cruceros beschäftigen mich und die eingesperrten Heiligen am Weg, denen man zwar manchmal Blumen und Kerzen hinstellt, die aber sonst ein ziemlich tristes Dasein führen. Irgendwie schwer und ohne Freude. Unendliches Leiden.
Silleda macht mich gar nicht an zum Rasten, obwohl es hier alles geben soll. Laufe durch. Von einem fahrenden Bäcker kaufe ich noch ein Stück Brot, falls gar kein Restaurant mehr auftaucht. Ein Schild mit der Aufschrift Albergue dos Peregrinos lockt mich vom direkten Camino weg. Doch eine Albergue kommt nicht in Sicht. Dafür sehe ich ein Stück vor mir 2 Peregrinos, die sich auf der Hauptstrasse zur nächsten Siedlung schleppen. Ich folge ihnen und treffe so wieder auf Manolo, der sich jedesmal um Futter für Putter bemüht, und Carlos, der ziemlich hinkt. Wir landen im gleichen Restaurant und essen zusammen. Dank der Ermunterung von Ruth gelingt es mir auch, dem Schnell- und Vielredner Manolo gegenüber offen zu bleiben ohne mich gleich ängstlich in mein Schneckenhaus zurückzuziehen. Und siehe da, er passt sich meinem langsameren Verstehen und Reden etwas an, indem er einfach alles 2- bis 3mal wiederholt. Ganz unverdrossen und fröhlich. Am Schluss spendiert er mir auch noch einen Schnaps. Danach mag ich nicht mehr weiterlaufen und buche gleich ein Zimmer für 15 Euro. Gegen das gestrige ein wunderbar freundlicher, trockener, sauberer Ort. Sogar Putter darf wieder mal auf's Zimmer, nachdem ich versichere, dass er sauber ist und nicht bellt. Er braucht auch eine Pause. Hat heute ein paarmal auf der Hinterpfote gehinkt. Nach einer grossen Büchse Futter und Resten vom Mittagessen, die Manolo gesammelt hat, und einem Spaziergang bringe ich ihn ins Zimmer an seinen Schlafplatz. Er legt sich gleich auf die Matte und rollt sich zusammen. Wie ausdauernd, treu und heldenhaft er sich doch hält. Sovieles kann ich von ihm lernen. Ein Buch aus seiner Sicht?
Während ich das schreibe, sitze ich im Hotel Victorino in Bandeira bei einem Glas Wein. Joe ist jetzt bei Margot zum Nachtessen. Ein Stück näher. Solange habe ich seine Stimme nicht mehr gehört. Warum nicht mal anrufen? Wunderbar! Ich esse noch ein bisschen Käse, Brot und trinke Wein und gehe dann auch schlafen. Draussen stürmt es gewaltig.

Montag, 25. Oktober 2004

Tag 39, Von Cea nach Estacion Lalin

Wegbeschreibung und Bilder bis Castro Dozon
Wegbeschreibung und Bilder ab Castro Dozon

Am Morgen geht es bei vielversprechendem Himmel erstmal zum Kloster Oseira, das mächtig und düster in einem einsamen Tal liegt. Ich fühle mich schwer und so verzichte ich auf eine Besichtigung und laufe nach einem Kaffee weiter. Wanderung durch erdige Pfade mit grossen Wasser- und Schlammpfützen. Aussicht über grüne Hügel. Dörfchen mit kuhmist-gepflasterten Gassen. Begegnungen mit Kühen und Schafen und Hunden. Kastanienernte ist im Gang. In Dozon treffe ich die Brasilianer wieder. Sie schauen schnell in die Bar, wo ich ein Chorizo-Bocadillo verdrücke. Nachher suche ich in ihrer Bar Zuflucht vor einem Regenguss, den eine riesige, graue Wolke herbeischleppt. Wir spielen eine Runde Domino mit spanischen Karten. Julio gewinnt: Campeon!
In Lalin trennen sich dann unsere Wege. Zuerst laufe ich alleine Richtung A Laxe los. Kehre dann aber beim Anblick weiterer dichter Regenwolken um und suche und finde eine Unterkunft in Estacion Lalin bei einer sympathischen, französisch sprechenden Wirtin. Putter bekommt gleich eine Portion Cozido und darf dann in einem Auto übernachten. Ich probiere auch vom Cozido trotz Kutteln. Schmeckt nicht schlecht. Dann noch ein Salat, Lomo mit Pommes und die vom Grossvater frisch geschnittenen Trauben zum Dessert. Und jetzt noch ein bisschen schreiben. Bin heute in Gedanken oft bei Joe. Und bei meinem Aussehen. Soll ich mich in Santiago für ihn verweiblichen?
Das Zimmer ist ein ziemliches Loch. Gute Pilgerübung. Kalt und feucht, doch mit genügend Wolldecken, die mich in der Nacht wärmen.

Sonntag, 24. Oktober 2004

Tag 38, Von Ourense nach Cea

Wegbeschreibung und Bilder

Gemeinsames Frühstück in einer angenehmen Bar mit viel Frühstücksauswahl: zuerst Churros, dann Empanadilla de Atun. Die Brasilianer sind auch da und Rinivaldo schenkt Ruth das Buch "Walden". Putter bellt alle ein bisschen an. Dann durchwandern wir die sonntäglich-ruhige Stadt Richtung Bahnhof, wo wir uns verabschieden.
Allein geht es weiter durch idyllische Dörfchen am Ufer des Rio Miño bis es rechts steil das Ufer hinauf geht nach Castro da Beiro. Bin ziemlich nassgeschwitzt. Oben hält ein netter Beamter der Proteccion Civil und erklärt mir den Weg und dass ich unbedingt anrufen soll, wenn ich Probleme habe. Ohne Handy ist das schwierig. Zudem kann ich mittlerweile ganz gut auf mich selber aufpassen und mir helfen. Nach einem Bier mache ich mich regenfest und laufe dann weiter.
Als nächstes begegne ich einem netten Pilzsammler, der mir rät im Kloster Oseira zu schlafen. Mal sehen. Dann werde ich wieder mal begossen und komme nass aber bei Sonnenschein in Cea an. Kaufe ein Pan de Cea und Chorizos und sitze ein bisschen auf der Praza Maior in der Sonne und spiele mit den nackten Zehen. In der Herberge, die in einem alten Steinhaus eingebaut wurde, kommt der Hospitalero und bringt uns - die Brasilianer sind auch eingetroffen - frischgepflückte Pilze und dann noch frische Eier aus einem nahen Hühnerstall. Wir legen unsere Vorräte zusammen und kochen ein fantastisches Pilgermahl. Schweiz-brasilianisches Teamwork und das in Spanien! Während die 2 Chicos dann Marihuana rauchen, mache ich mich über die Schokolade her. Lustiger Abend mit vielen Geschichten und den üblichen Pilgerfragen und -antworten. Ich geniesse es, wieder mal Abzuwaschen und die Küche aufzuräumen. Dann ist bald Ruhe. Die Brasilianer schnarchen nicht. Ich erwache wieder wie schon in den Nächten vorher mit einem Schweissausbruch. Zu viel und zu spät gegessen? Oder zuviel Wein? Mein Körper ist nicht mehr so im Gleichgewicht wie in den ersten Wochen und ich habe das Gefühl, wieder mal alles durchputzen zu müssen.

Samstag, 23. Oktober 2004

Tag 37, In Ourense

Erstmal frühstücken, da es um 8 Uhr noch dunkel ist. Café San Fernando. Wunderbares Croissant. Dann hütet Ruth die Rucksäcke und ich gehe mit Putter spazieren und das Internet-Café suchen. Danach hüte ich die Rucksäcke im Internet-Café und Ruth geht spazieren. Dann suchen wir in der Av. Buenos Aires eine Pension. In der 2. werden wir fündig für 25 Euro. Dann geht's zum Baden. Mit der "censilla" Bar, Bier und Pinchos klappt es erst beim Thermalbad. Herrliches Entspannen bei Sonnenschein. Danach möchte ich allein sein und ich merke, wie die Spannung zwischen Ruth und mir steigt. Ziehe mich dann zu Putter zurück. In der Albergue treffen wir uns wieder. Gespräche, denen ich zuhöre, obwohl ich lieber gehen würde. Ruth ist mit dem Hospitalero im Element und einig. Ich verziehe mich zum Internet. Die empfohlene Bar finde ich nicht, worüber ich auch nicht unglücklich bin. Irgendwo trinke ich noch einen Wein und probiere Empanadas und Empanadillas. Bin ziemlich müde und es zieht mich ins Bett. Warten auf Ruth. Bin froh als sie kommt. Sie spricht unseren Problempunkt gleich an. Mutig. So möchte ich das auch mal können. Und sagt mir noch ein paar andere Gedanken, die ihr durch den Kopf gegangen sind bezüglich Liebe und Beziehung. Nach bereinigter Atmosphäre schlafe ich wunderbar.

Freitag, 22. Oktober 2004

Tag 36, Von Vilar de Barrio nach Ourense

Wegbeschreibung und Bilder

Zum Frühstück wie schon gestern abend zum Dessert ein Bananen-Yoghurt-Schoko-Mus. Zur Erinnerung an Lise und die SOLA-Stafette, an der ich erst lang nach meiner Studentenzeit mal teilgenommen habe. Und zur Erinnerung an meine Kindheit, wo mir dieses Dessert über manchen Frust geholfen hat.
Wunderbares Wetter, schöne Landschaft. Wieder mal geradeaus durch das Hochtal von Vilar de Barrio. In Junqueira esse ich neben der Kirche einen Apfel und sonne meine Zehen. In A Pousa dann Kaffee und schliesslich spendiert mir einer in Pereiras ein Schinkenbrot und Bier.
Und dann holt mich Ruth ein. Sie ist durchgelaufen und stillt ihren Hunger mit einem Tortilla-Bocadillo. Wir machen eine Stunde Pause und laufen dann zusammen nach Ourense los. Es geht alles auf Asphalt und dann noch durch ein Industriegebiet mit rauchenden Schloten. Ruth prescht bergauf davon mit ihrem Leichtgewicht. Da komm ich nicht mit. Dafür verpasst sie einen gelben Pfeil, wodurch ich sie wieder überhole. Erst auf der langen Geraden in Ourense treffen wir uns wieder. Brunnen mit warmem Wasser. Touristoffice. Herberge. 4 perfekt ausgerüstete Wochenendpilger treffen auch gerade ein. Herzlicher Empfan durch Hospitalero und Wiedersehen mit fester Umarmung von Conrad. Harte Sitten. Um 22 Uhr schliesst die Herberge für die Nacht. Also schnelle Dusche und dann ins Restaurant Las Vegas unter Führung von Conrad. Beste Calamares und Paella für 7 Euro. Dann laute Nacht mit Schnarchen, wilden Autofahrern und Polizeisirenen. Zwischendurch glaube ich Putter bellen zu hören. Und das späte Nachtessen rumort im Magen. Stories und gute Tips von Conrad rumoren im Kopf: Baden im Thermalwasser. Ein Tag in Ourense mit Ruth.

Donnerstag, 21. Oktober 2004

Tag 35, Von Campobecerros nach Vilar de Barrio

Wegbeschreibung und Bilder bis Laza
Wegbeschreibung und Bilder ab Laza

Heute morgen ist der Himmel wieder vielversprechend und ich gehe ausgeruht schon um halb neun los. Wunderbare Wanderung durch Kastanienwälder und kleine Dörfchen mit Steinhäusern. Und endlich auch Assicht über die grünen Hügel. Kurz vor Laza treffe ich auf die ersten Schweizer Pilger, die mich gleich mit Namen begrüssen: Nicole und Gilbert. Sie machen den Weg umgekehrt. Ich geniesse es, wieder mal Muttersprache zu sprechen und zu hören.
In Laza werde ich gleich ins Pilgerrestaurant gelotst und esse wieder mal ein Monster-Bocadillo mit lokaler Chorizo und davor eine stärkende Suppe. Die Inhaberin ist sehr mütterlich-besorgt und spricht französisch, als sie hört, dass ich aus der Schweiz bin. Sie hat lange im Wallis bei Martigny gearbeitet. Danach finde ich noch eine Pöstlerin, die extra für mich und meinen Brief mit Tagebuchnotizen das Büro nochmal aufmacht.
Dann geht es auf wunderbaren Naturpisten durch das fruchtbare und idyllische Tal. Ich begegne einem alten Bauern und erzähle ihm, dass ich nach Vilar de Barrio will, worauf er mich befremdet anschaut und nur "abaixo" sagt. Was das heisst, stellt sich dann bald heraus. Es geht nur noch aufwärts auf felsigem Pfad. Dafür immer wieder phantastische Ausblicke über die zurückgelegte Strecke. Endlich bin ich oben und Albergueria kommt in Sicht. Sanfte Musik tönt aus einer Bar, in die ich schon bald reingelotst werde. Ruiz hat hier eine Pilgerbar eingerichtet und überrascht mich mit Musik aus den Siebzigern und Rock 'n Rolls aus meiner Tanzschulzeit. Joe würde es hier auch gefallen. Im Pilgerbuch finde ich den Eintrag von Conrad und an der Decke hängen schon die Pilgermuscheln von ihm, Jordi und Gerard und bald auch meine. Putter und ich bekommen eine Mahlzeit und so bleibe ich länger als geplant, aber kürzer als ich gerne möchte.
In der Gegend sehe ich immer wieder Leute Kastanien ernten. Der Weg nach Vilar de Barrio zieht sich, geht aber wenigstens nur bergab. An der Tankstelle im Ort erhalte ich den Schlüssel und habe die riesige, wunderbar warme Herberge noch ganz für mich. Statt ins Restaurant zu gehen kaufe ich wieder mal was im Laden, Käse, Wein, Wurst, Brot, Früchte und eine schmackhafte Tomate. Da nirgends ein Zapfenzieher aufzutreiben ist, lasse ich mir die Flasche vom netten Apotheker nebenan öffnen. Auf dem Rückweg läuft ein schwerbepackter Pilger vor mir her. Ich denke, jetzt gibt es Gesellschaft. Doch weit gefehlt. Ein etwas verwirrter Italiener, der den Camino frances gelaufen ist und jetzt noch nach Sevilla laufen will. Er hat Zelt und Küche dabei und einen Sack mit Lebensmitteln, aber keine Landkarte. Da kann ich ihm leider nicht helfen. So geht er weiter zum Bahnhof und will erstmal den Zug nach A Gudiña nehmen. Als ich dann beim Essen bin, die nächste Begegnung. Es klopft an die Fensterscheibe. Eine Frau wie ein kleines Wiesel, aber unheimlich zäh, steht da. Sie ist von A Gudiña in einem Tag bis hierher gelaufen und hat sogar die Nacht in Kauf genommen, um nicht mit ein paar blöden, lärmigen Pilgergenossen in Laza schlafen zu müssen. Und wieder ein Eintrag im Pilgerbuch von Conrad, den ich nochmal zu treffen hoffe.
Die Pilgerin heisst Ruth und wir verstehen uns auf Anhieb bestens. Trotzdem laufe ich dann am Morgen schon früh alleine los.

Mittwoch, 20. Oktober 2004

Tag 34, Von Campobecerros bis Campobecerros

Habe gut geschlafen und heute morgen regnet es nicht, aber dicke, graue, regenschwangere Wolken ziehen am Himmel vorbei. Teres und der liebe Alte sind schon wach. Ich erhalte einen grossen Café con Leche und 2 Magdalenas, eines für Putter. Nach herzlichem Abschied und mit besten Wünschen ziehe ich los. Doch nicht weit, da beginnt es wieder zu nieseln und steigert sich diesmal zum Gewitter. In Portocamba bin ich schon durchnässt und stehe ein wenig unter. Was jetzt? Umkehren? Weiter nach Laza? Oder zurück? Ich versuche es mit Laza, aber ein fürchterliches Donnergrollen und noch heftigere Regenschauer belehren mich eines besseren und ich kehre um.
Der Weg ist inzwischen zum Bach geworden und in meinen Schuhen schwimme ich, so vollgelaufen sind sie. Triefend trete ich wieder in der Bar der Casa Nuñez ein, wo ich trotz der Nässe herzlich empfangen werde und so bald Dorfgespräch bin. Teres stellt die Heizung an und ich erhalte wieder mein Zimmer, wo ich mich erstmal auswinde und die letzten trockenen Sachen anziehe. Den Tag verbringe ich mit Pendeln zwischen Zimmer, Bar und Comedor. Daniela kommt aus Ourense zu Besuch und spendiert allen Frauen einen Kaffee und Biscoitos. Mittagessen wieder am Familientisch mit Makkaroni als Vorspeise. Mmmm! Siesta und abends noch ein Spaziergang im Trockenen um Futter für Putter zu beschaffen. Dabei bleibe ich eine Weile bei den Alten sitzen, die sich um einen Ofen gruppiert haben. Einige waren vor langer Zeit mal in der Schweiz zum Arbeiten und sprechen ein paar Worte deutsch oder französisch. Dann erfahre ich noch, dass der Dueño von der Casa Nuñez eine gute Partie wäre, reich und ledig. Habe schon seinen Mercedes in der Garage bei Putter gesehen und mich darüber gewundert. Auf das Nachtessen verzichte ich heute. Keine Lust auf spätes Essen am Familientisch.
Erkenntnis nach 4 Jahren: Manchmal ist man abends gleich weit wie morgens, obwohl man sich viel bewegt und viel erlebt hat.

Dienstag, 19. Oktober 2004

Tag 33, Von A Gudiña nach Campobecerros

Wegbeschreibung und Bilder

Am Morgen schellen die Wecker der Reihe nach, aber keiner macht Anstalten zum Aufstehen. Zu warm und gemütlich im Bett. Schliesslich schält sich doch zuerst Antonio raus und dann höre ich Putter winseln. Ziehe mich an. Heute mit vorgewärmten Klamotten! Und welch ein Wunder. Es regnet nicht. Aber tiefgrauer, verhangener Himmel über mir. Spaziere zuerst zur Zugstation. Es gibt einen Zug morgens um 7 Uhr nach Ourense. Der ist schon weg. Dann komme ich am Hostal Madrileña vorbei und lasse mich zur heissen Schokolade mit Churros verleiten. In der Albergue ist Antonio schon aufgebrochen Richtung Laza und das spornt mich an, es ihm gleichzutun.
Ausgeschlafen und aufgewärmt sieht auch der grauste Himmel wieder verlockend aus. Bis Bolaña wandere ich im Nebel. Ab und zu lichtet sich der milchige Schleier und ich kann die Aussicht auf grüne Hügel und einen Stausee geniessen. Doch das sind kurze Momente. In Bolaña erzählt mir eine Frau mit Lachfalten von ihrem harten Leben und zeigt mir ihre 3 rosa Schweine, deren Stall gestern von Wasser durchflutet wurde und jetzt dringend neues Stroh braucht. Nach Bolaña fängt es wieder an zu Nieseln und steigert sich wie gestern zum Schütten kurz vor Campobecerros, sodass ich wieder ziemlich durchnässt ankomme, aber wenigstens genau richtig zum Mittagessen. Eine leckere Suppe aus Cozido mit Kichererbsen und Kartoffeln und dann ein Fleischgericht mit viel Erbsen, Zwiebeln, Paprika und Kartoffeln. Wunderbar! Und dann erhalte ich noch ein schönes Zimmer, wo ich mich ausruhen kann. Vom Bett aus studiere ich die Muster der Regentropfen an der Scheibe. Die Gastgeberin heisst auch Teres. Zum Abendessen gibt es nochmal ein währschaftes Gericht mit den Resten vom Mittagessen. Es schüttet immer noch. Ich sitze am grossen Tisch bei der Familie. Neben mir die befehlshaberische Mutter, die immer wieder "coge" und "come" befiehlt.

Montag, 18. Oktober 2004

Tag 32, Von Lubián nach A Gudiña

Wegbeschreibung und Bilder bis Villavieja
Wegbeschreibung und Bilder ab Villavieja

Wunderbar geschlafen und der Blick zum Balkonfenster hinaus zum Himmel zeigt nicht schlechtes Wanderwetter, etwas grau zwar, aber trocken. Und so packe ich mein Bündel wieder zusammen. Dank Heizung ist alles schön trocken. Das Lesen der Beschreibung der Tagesetappe macht mich immer ein bisschen nervös. Eine Nervosität, die sich dann aber mit den ersten Schritten auf dem Camino legt. Bisher waren alle Sorgen und Ängste vergeblich. Immer kam rechtzeitig eine Antwort auf meine Fragen. Also, wozu noch immer nervös?
Am Weg begleiten mich wieder die Moossteine. Nach der Ermita stehe ich wie der Esel am Berg. Über die Autobahnbrücke oder geradeaus? Der Pfeil sagt geradeaus, aber die Karte, die ich habe, spricht eher für die Überquerung der Autobahn. Doch schliesslich folge ich dem Pfeil. Bisher haben sie mich sicher geleitet. Als es dann aber wieder steil bergab geht, geht es mit meinen Zweifeln bergauf. Und dann kommt ein Hohlweg wie ein Gebärkanal der Erde. Rechts und links begleiten mich Farne und Wurzeln. Der Boden ist übersät von grossen Steinen, die wohl ab und zu von einem Bach verschoben werden. Es geht ständig aufwärts, keine Ahnung wohin. Irgendwann ist plötzlich Putter verschwunden. Ich rufe und pfeife, aber vergeblich. Gehe weiter und hoffe, dass er mich findet. Habe keine Kraft ihn zu suchen. Immer wieder schaue ich zurück, aber er taucht nicht auf wie sonst. Ist er abgestürzt? Braucht er Hilfe? Ist das das Ende? Verschollen im Gebirge? Doch da plötzlich trabt er an von hinten mit nassen und schlammigen Pfoten und nassem Bauch. Welche Freude und Erleichterung!
Ab und zu erhasche ich einen Blick aus dem Gebärkanal hinaus, der mir eine grandiose Aussicht auf die zurückgelegte Strecke schenkt. Dann endlich habe ich es geschafft. Fast bei den Windmühlen, die zuoberst auf dem Berg thronen und ihre Flügel in die Wolken stecken. Grenze zwischen der Provinz Zamora und Galizien. Ich mache kurz Rast und stärke mich mit Datteln, Nüssen und Rosinen. Dann geht es abwärts und gleichzeitig fängt es an zu nieseln. In La Canda mache ich meinen Rucksack regensicher mit den Sicherheitsnadeln von Jesús. Das Nieseln geht in Regen über. In Vilavella entscheide ich mich, da ich schon nass bin, aber noch Energie habe, gleich ohne Halt bis nach A Gudiña weiterzugehen. Im Regen zieht sich der Weg unendlich lang. Hügel auf, Hügel ab. Mal verlockt mich eine Landstrasse, doch es ist nicht die N525, meine Freundin, sondern die OU1x1, die nach Portugal führt. Also wieder zurück auf den Camino zu den gelben Pfeilen und zu einem alten Mann, der ein bisschen französisch spricht und mir den Weg erklärt. Urchige Landschaft mit riesigen Felsrundlingen. Langsam dringt der Regen durch Jacke und Schuhe und es wird immer ungemütlicher. Vor A Gudiña beginnt es regelrecht zu schütten. Auch Putter ist völlig durchnässt und trottet mit hängenden Öhrchen neben und hinter mir her. Wirft mir ab und zu einen fragenden Blick zu. Das Oficina del Turismo am Ortseingang ist geschlossen, aber wenigstens hängt ein Plan dort, wo die Albergue zu finden ist. Ich finde sie auch, aber auch da stehe ich vor geschlossener Tür. Lade erstmal den Rucksack ab und lasse ihn mit Putter unter dem Vordach, während ich mich auf Schlüsselsuche mache. In der ersten Bar weiss man nichts, verweist mich aber an die Casa de Cultura. Jetzt brauch ich erstmal einen wärmenden Kaffee. Dann wieder in den Regen. In der Casa de Cultura kennt der nette Typ die Telefonnummer nicht und vertröstet mich bis seine Kollegin kommt. In der Zwischenzeit erklärt er mir die kulinarischen und handwerklichen Qualitäten Galiziens, die liebevoll im kleinen Museum dargestellt werden. Obwohl pflotschnass versuche ich geduldig und aufmerksam zuzuhören. Dann endlich kommt die Kollegin. Sie fährt mich zurück zur Albergue, wo die Türe jetzt offen steht. Brauche einige Überredungskunst, damit Putter auch reinkommen darf. Dann endlich geht es ans Trocknen und Aufwärmen. Später taucht noch Xavier auf mit Bici, auch völlig durchnässt. Ich treffe ihn dann später wieder im Hostal Oscar zum Essen. Die ganze Nacht peitscht der Wind Regenböen gegen das Fenster. Doch neben der eingeschalteten Elektroheizung im warmen Schlafsack ist es gemütlich und ich schlafe gut.

Sonntag, 17. Oktober 2004

Tag 31, Von Puebla de Sanabria nach Lubián

Wegbeschreibung und Bilder bis El Padornelo
Wegbeschreibung und Bilder ab El Padornelo

Am Morgen lasse ich mir Zeit bis die Bici's weg sind. Dann erstmal Gymnastik und den Körper wieder mal dehnen und strecken. Das Wetter draussen sieht schon vielversprechend aus. Kein Wind und wenig Wolken. So lasse ich meine Taxi- und Zugpläne erstmal fallen und laufe einfach los. Die Wünsche von gestern scheinen immer noch zu wirken. Kein Regen. Erstmal geht es der N525 entlang bis mich gelbe Pfeile zu einem Umweg über Terraso verleiten. In Requejo scheint die Sonne und ich kehre ein. Vertilge wieder ein Monster-Bocadillo mit Jamon, dazu Bier und Café con Leche. Dann ernenne ich mich zur Queen of the Road, denn ausser mir benutzt fast niemand mehr die N525, da nebendran die Autobahn verläuft. Habe vor, alles bis Lubian auf der N525 zu laufen, dorch irgendwann verführen mich doch wieder gelbe Pfeile zu einem Seitensprung, den ich nicht bereue. Ein munteres Bächlein begleitet mich eine Weile. Und ich wandere auf der alten Bergstrasse, die langsam wieder von der Natur zurückerobert wird. Als dann aber ein Viadukt auftaucht, das eine Abkürzung verspricht, wechsle ich wieder die Strasse. Viaducto de los Tornos 329m. Und bald danach kommt die nächste Herausforderung, Tunel de Padornelo, 435m. Licht anzünden. Ich geniesse noch einmal den Blick über den zurückgelegten Weg nach Osten, bevor ich mich mit etwas mulmigem Gefühl in den dunklen Tunnel wage. Sehe zwar den Ausgang wie ein kleines Guckloch. Doch mit jedem Schritt wird es dunkler, bis ich den Boden nicht mehr sehe und mich ganz auf das Tastgefühl meiner Füsse verlasse. Wir sind mittendrin, wo auch meine Phantasiemonster hausen. Doch sie packen mich nicht und wir kommen wieder heil, aber ich mit klopfendem Herzen und ziemlich erleichtert wieder heraus.
Nach dem idyllischen Dörfchen Padornelo erreiche ich das Hotel und kehre nochmal ein auf einen Flan. Alle Glieder recken und strecken. Dann kommt der letzte Teil nach Lubián. Eine Märchenwaldstrecke über Stock und Stein, kleine Bächlein überqueren, rechts und links dick bemooste Steine, die ich immer wieder mal streichle. In Hedroso treffe ich ein paar alte Leutchen auf der Strasse. Sie offerieren mir sogar Kaffee und was zu essen. Lehne freundlich ab, aber plaudere noch ein bisschen mit ihnen. In der Zeit freundet sich Putter mit einem Hundefräulein an so sehr, dass daraus gleich ein Liebesabenteuer wird. Ich rufe El Amor und alle Dorfbewohner strahlen mich an. In Lubián erfüllen sich dann alle meine Wunschträume, geheizte Unterkunft bei Reyes in der Casa Irene und ein Riesenteller Maccaroni. Evelyn im Glück!

Samstag, 16. Oktober 2004

Tag 30, Von Mombuey nach Puebla de Sanabria

Wegbeschreibung und Bilder

Conrad liegt beim Lichtschalter und zündet an, damit ich etwas sehe beim Aufstehen. José liegt noch tief vergraben unter seiner Wolldecke, obwohl er gestern sagte, er stehe immer um halb sieben auf, um Tomas zu füttern. Putter will schon raus, hat immer noch Durchfall. Der Tag sieht vielversprechend aus. Ich verabschiede mich herzlich von Conrad und José, der sich mittlerweile auch aus den Decken geschält hat, und ziehe los. Ich komme durch wunderschöne, aber ziemlich ausgestorbene Dörfchen. Die Bar in Cernadilla macht gerade auf und so ziehe ich weiter. Im Westen ballen sich Wolken zusammen und ich schaffe es bis Asturianos im Trockenen. Hier hat es endlich eine Bar mit Restaurant. Der Name Carmen klingt gut und ich trete ein. Putter lasse ich auf der gedeckten Terrasse. An einem Tisch sitzt ein fette Frau und flickt Wäsche. Eine, die wohl kein Mann sich als Frau wünscht. Und dementsprechend unglücklich sieht der Mann hinter der Bar aus, der mit der Frau verheiratet zu sein scheint. Ich bestelle Queso Zamorano und ein Bier und danach einen Café con Leche. Erhalte alles, aber ohne irgendein Lächeln oder ein Zeichen des Willkommenseins. So verlasse ich zwar genährt, aber frustriert die Bar. Bei soviel Griesgram ist sogar Regen draussen noch besser. Doch einen Schauer habe ich ausgesessen und im Moment ist über mir gerade wieder ein blaues Loch in der Wolkendecke. An einem Haus sehe ich den Namen Teresa und weiss, dass ich nicht allein bin. Kurz darauf treffe ich 2 Frauen plaudernd bei einem blumengeschmückten Haus. Wir unterhalten uns und sie schenken mir eine Nelke und eine Manita de Virgen für meinen Hut und wünschen mir, dass es nicht regnet auf meinem Weg. Und ganz wunderbar geht dieser Wunsch in Erfüllung. Trocken erreiche ich Puebla de Sanabria, wo ich im Dia für Putter 2kg Trockenfutter und eine Dose kaufe. Mit dem zusätzlichen Gewicht wandere ich langsam Richtung Plaza Mayor, die auf dem Felsen hoch über dem Fluss liegt. Nächster Stop ist das Oficina del Turismo, wo ich den Schlüssel zum Refugio erhalte. Alles funktioniert etwas harzig, Computer, Schlüssel, Dusche. Aber ich erhalte doch noch Zugang zum Internet und kann wieder mal Lebenszeichen versenden. Nur wollige Unterhosen sind nirgends aufzutreiben. Stattdessen genehmige ich mir ein fettes Ofenchüechli mit Vanillesauce. 2 Pilger mit Bici's treffen auch noch ein. Doch wir treffen uns erst vor dem Einschlafen. Im Restaurante Reamar esse ich Habemos Sanabreses y Trucha a la Navarra und zum Dessert Arroz con Leche. Auch mit Geld versorge ich mich noch und dann verkrieche ich mich in die Wärme meines Schlafsacks.

Freitag, 15. Oktober 2004

Tag 29, Von Calzadilla de Tera nach Mombuey

Wegbeschreibung und Bilder bis Rionegro del Puente
Wegbeschreibung und Bilder ab Rionegro del Puente

Habe wiedermal göttlich geschlafen nach dem Wein, den spannenden Geschichten und auf der guten Matratze und brauche einige Überwindung aus dieser warmen und bequemen Stellung aufzustehen. Conrad rumort schon wieder und so schäle ich mich aus meinem Schlafkokon. Mit dem Sisalhandschuh aktiviere ich die innere Heizung. Ziehe wieder als erste los in einen kalten, aber schönen Tag hinein. Für Venus bin ich heute etwas zu spät. Dafür begrüsst mich die Sonne bald, diesmal von hinten. Es geht alles einem Kanal entlang durch das Flusstal der Tera. Herbstliche Farben, Laub am Boden. Das Rascheln der Pappeln. 2 alte Leutchen, die Mais ernten.
Dann überschreite ich einen riesigen Staudamm mit Flusskraftwerk und danach geht es auf einem Camino Agricola alles dem Stausee entlang. Wunderschöne Uferplätze mit Felsen und kleinen Stränden. Vor 10 Tagen noch hätte ich Lust auf ein Bad bekommen, aber jetzt friert mich schon, wenn ich das Wasser sehe. Dann geht es weg vom Stausee und versteckt hinter Bäumen tauchen Häuser auf: Villar de Farfón. Ein zauberhaftes Dörfchen, aber keine Menschenseele zu sehen. Alles sauber und blumengeschmückt, doch die Menschen scheinen weggezogen zu sein. Nicht mal Hunde sind zu sehen.
Bei der Kirche lese ich die Schrifttafel an die Pilger:

soledad, sentir la presencia en la ausencia.
Alleinsein, das Dasein spüren in der Leere.

Und so setze ich mich hin und fühle in die Leere hinein.
Auf einem Trampelpfad geht es dann weiter durch naturbelassene Landschaft. Die Sonne scheint warm und lädt mich ein zu einer Rast. Nehme die Einladung gerne an. Putter bekommt ein Paar Würstchen und ich beisse genussvoll in einen Apfel. Dann noch ein paar Ciruelas, Datteln und Aprikosen und gestärkt geht es weiter.
Nach einer knappen Stunde komme ich wieder in die Zivilisation: die Häuser von Rionegro del Puente tauchen auf. Vor mir läuft der Pilger mit dem Esel über die Brücke. Endlich treffe ich ihn. Er macht halt in der Bar neben der Kirche und dort lande ich auch. Conrad sitzt auch schon da bei einem leckeren Chorizo-Bocadillo und einer Caña. Er hat die Abkürzung über die Strasse genommen. Ich bestelle auch ein Chorizo-Bocadillo und es kommt ein wahres Monster-Sandwich aus einem halben Pariserbrot dick gefüllt mit Tomaten und Chorizo. Früher hätte mir die Hälfte genügt. Doch jetzt mag ich es locker. Putter reagiert mit Knurren und Beissen auf die Liebkosung von José. Wittert er Konkurrenz vom Esel, den ich streichle?
Nach einer halben Stunde brechen wir auf nach Mombuey. In meinem Tempo bin ich bald wieder allein. Erstaunlich schnell tauchen die ersten Häuser von Mombuey auf. Etwas ratlos suche ich nach der Herberge. Da taucht auch Conrad wieder auf, ziemlich geschafft und mit schmerzenden Füssen. Im Hotel Rapina erhalten wir den Schlüssel und nehmen noch einen Café con Leche. Die Albergue ist ein herziges Häuschen in der Nähe der Kirche. Duschen, Waschen. Conrad geht ins Centro de Urgencias zur Fusspflege und José trifft ein mit Tomas, seinem Esel. Ich kaufe ein neues Handtuch, wieder WC-Papier und Futter für Putter, der Durchfall hat. Will noch wollene Unterhosen kaufen, aber das gibt es hier nur für Männer. Wie ich die Kälte hier überstehen soll, weiss ich noch nicht. Anscheinend liegt noch ein Pass mit 1300m Höhe ü.M. vor mir. Vielleicht gibt es was Wärmendes in Puebla de Sanabria. Zum Essen gehen wir zu dritt ins Hotel Rapina. Nehme Judias Verdes und Ternera Guisante, was ich für Fleisch mit Erbsen halte. Ist es aber nicht. Einfach Fleisch an einer Sauce, aber auch ganz lecker und dazu wieder einen Toro Wein. Inzwischen habe ich herausgefunden, dass Toro eine Stadt am Duero ist östlich von Zamora.
José erzählt, dass er AIDS hat. Er trinkt keinen Tropfen Alkohol mehr, da er früher grosse Probleme mit allen möglichen Drogen hatte. Dann geht es zurück durch die Kälte. Zum Glück haben wir einen Heizkörper im Albergue. Dank dem trocknet auch meine Wäsche bis am Morgen.
Am Nachmittag hat mich noch der Pfarrer angesprochen, weil Tomas die Blumen im Kirchengarten frass. Er sorgte sich, dass Tomas auch das Unkraut frisst, das geschwefelt wurde.

Donnerstag, 14. Oktober 2004

Tag 28, Von Tábara nach Calzadilla de Tera

Wegbeschreibung und Bilder bis Camarzana de Tera
Wegbeschreibung und Bilder ab Camarzana de Tera

Conrad ist Frühaufsteher und rumort schon um 6 Uhr. Doch dann schliesst er rücksichtsvoll die Tür zum Schlafsaal. Nachdem ich mich auch aus dem warmen Schlafsack gerappelt habe, treffe ich ihn korrekt angezogen, frisch rasiert und stilvoll frühstückend. Da er mit seinen Siebensachen etwas länger hat, ziehe ich schon los. Wunderschöner, aber kalter Morgen. Wie immer begrüsse ich Venus. Dann geht es auf den Pass zu. Geniesse die Stille und freue mich auf einen Halt in Bercianos. Habe so eine Bar wie mit Jesús im Kopf und sehe sein Bocadillo vor mir. Doch natürlich gibt es diese Bar nicht ein zweites Mal. Bercianos ist ein Kaff, wie ausgestorben bis auf einen Mann und eine Frau, die in einem Hauseingang stehen und einen kleinen Hund haben. Putter zieht es zu ihm hin und wahrscheinlich durch die negativen Erfahrungen mit andern kleinen Kläffern, packt er ihn gleich am Genick und schüttelt ihn gehörig durch. Schreiend und tretend versuche ich ihn zum Loslassen zu bewegen und der Mann schlägt mit einer Peitsche auf Putter ein. Da endlich lässt er los. Der Kleine lebt zum Glück noch und Putter ist unbeschädigt. Nachher tun mir meine Tritte leid. Was mischen wir uns auch in Hundeangelegenheiten ein?
Später treffen wir auf einem Feld ein wildes Hunderudel, das grosse Anziehung auf Putter ausübt. Er lässt sein Ich-möchte-gern-Winseln hören. Und einen kurzen Moment überlege ich, ihm Leine und Halsband abzunehmen, damit er wählen kann. Doch ich tu es dann doch nicht. Egoistisch möchte ich noch eine Weile seine Begleitung. Vom Bier, das ich in Bercianos getrunken habe, fühle ich mich halb beschwipst und laufe wie in Trance weiter, etwas belämmert. Braucht halt doch ein Bocadillo zum Bier.
Jetzt mache ich Siesta in der Bar La Rista in Santa Croya de Tera und stärke mich für den Weg nach Camarzana mit Suppe, Tomatensalat und Tortilla.
Nach einer wunderschönen Verdauungswanderung dem Rio Tera entlang verliere ich den Camino beim Kieswerk von Camarzana aus den Augen. Ich drehe eine Runde darum herum und komme so von der anderen Seite ins Dorf. In der ersten Libreria frage ich nach der Albergue. Es hat keine und die günstige Pension ist auch geschlossen. Um eine bessere Orientierung zu haben, will ich noch eine Karte kaufen. Aber die gibt es hier nicht. Dann versuche ich es mit dem Organisieren eines Taxis nach Calzadilla, wo es eine Albergue geben soll. Dafür erhalte ich eine brauchbare Auskunft und sitze schon bald in einem Kleinbus dank Putter. Direkt vor der Albergue werde ich ausgeladen und dort gleich freundlich von einem älteren Herrn empfangen. Die Albergue ist auch der Treffpunkt der Jubilados und Pensionistas des Dorfes. Ganz neu, sauber und grosszügig. Nach dem Duschen mache ich noch einen Einkaufstrip in den Dorfladen, der extra für mich geöffnet wird. Für die Albergue spende ich 4 Rollen WC-Papier. Auch Conrad ist eingetroffen. Er ist alles der Landstrasse entlang gelaufen. In der Bar des Ortes organisiere ich Essen für 8 Uhr: Sopa, Salada, Ternera und wie immer guten Wein, bei dem wir uns über Botswana unterhalten. 25 Jahre Afrika.

Mittwoch, 13. Oktober 2004

Tag 27, Vom Rio Esla nach Tábara

Wegbeschreibung und Bilder

Dann endlich geht Venus auf und der Horizont wird heller. Doch bis die Sonne aufgeht und wirklich wärmt vergehen nochmal gut 2 Stunden. Dann endlich ist auch das ausgestanden. Mit klammen Gliedern schlüpfe ich in die Wanderklamotten, rolle den leicht feuchten Schlafsack zusammen und ziehe los. Alles ist steif, die Füsse spüre ich kaum beim Laufen. Doch mit der Zeit kommt die Wärme zurück und auch die Sonne hilft mit. In Faramontanos steuere ich erstmal die Bar Boya an. Bestelle für mich ein Bocadillo mit Tortilla Francesa und ein Bier. Für Putter gibt es mangels anderem 2 Dosen Katzenfutter. Dann noch einen wärmenden Kaffee. Und weiter geht es. Gegen 13 Uhr bin ich schon in Tábara mit seinem markanten 4-eckigen Glockenturm. Die netten Bewohner zeigen mir den Weg zur Albergue. Bald habe ich den Schlüssel und freue mich auf eine heisse Dusche. Die Albergue befindet sich bei einem Lavadero etwas oberhalb des Dorfes. Ganz neu eingerichtet und schon etwas schmuddelig. Doch auf Putzen habe ich jetzt keinen Bock. Zuerst hänge ich den feuchten Schlafsack an die Sonne, dann wasche ich und zuletzt die heisse Dusche, welche Wonne. Das Wasser ist richtig heiss, nicht so lau wie in Zamora, und ich geniesse es mal wieder ausgiebig zu duschen.
Draussen scheint die Sonne und ich lasse mich noch etwas wärmen. Doch dann vertreibt mich ein kalter Wind und ich mache noch 1 Stunde Siesta. In einem Café trinke ich dann eine heisse Schokolade und esse ein Empanadilla mit Chorizo. Für Putter kaufe ich 2 Dosen Callos auf Empfehlung von Jesús und noch einige Früchte für mich.
Begleitet werde ich da schon von Conrad, einem älteren, englischen Pilger, den ich schon mal in El Cubo getroffen hatte, als er sein Handy suchte. Er ist ziemlich geschafft und wohl deshalb etwas verwirrt. Erzählt mir, wie er trotz falscher Bankkarte in Zamora wieder zu Geld gekommen ist. Überhaupt spricht er ziemlich viel, aber wenigstens interessant und amüsant. Er hat über 20 Jahre in Botswana gelebt. Spricht Spanisch auf Universitätsniveau, wenn er nicht zu müde ist, hat 5 Kinder und ist geschieden. Ein Sohn lebt in Saudiarabien. Dieser macht sich grosse Sorgen um seinen Vater und will, dass er sich täglich bei seiner Schwester meldet. Da er sein Handy verloren hat, ist es ein ziemlicher Stress für ihn, immer eine funktionierende Telefonkabine zu finden und das System des Anrufens mit Telefonkarten zu verstehen. Jeder hat halt seinen eigenen Pilgerstress. Er erinnert mich an die ersten englischen Touristen, die richtig stilvoll reisten, gut angezogen und eben mit Stil. Sein Rucksack ist auch entsprechend gross und schwer. Ich glaube, noch schwerer als meiner. Wir haben beide Riesenhunger und so verabreden wir uns im Restaurante Galicia, das etwa 1km von der Albergue entfernt an der Hauptstrasse liegt. Muss mich überwinden, diesen Weg noch zu machen, aber eine warme Mahlzeit ist eben auch nicht zu verachten. Es ist schon dunkel um 8 Uhr und ich laufe sicherheitshalber auf der linken Strassenseite. Doch plötzlich braust was haarschaft an mir vorbei, ein Lastwagen der überholt. Ich bedanke mich bei meinem Schutzengel und bin froh, dass ich Putter in der Albergue gelassen habe. Wenigstens ist dann das Essen den Weg wert. Zuerst gibt es einen währschaften Linsentopf mit Chorizo und dann Forelle mit Pommes und einer dicken Knoblauchsauce. Dazu wieder Toro Wein und zum Dessert Flan. Und die Unterhaltung durch Conrad ist auch interessant. Er ist Mitglied in der Convention of St.James, deren neustes Projekt ist, eine alte Ruine auf dem Camino Frances zur Albergue umzubauen. Alles mit Freiwilligenarbeit. Und dann erzählt er mir noch von Jackie, die er auf der Plaza Mayor in Zamora getroffen hat und von El Loco con el burro, der vor uns läuft und gestern in der Herberge geschlafen hat. Vielleicht treffe ich ihn auch noch. Im frischgesonnten Schlafsack und auf der guten Matratze schlafe ich herrlich und ohne zu frieren. Putter darf in der Küche schlafen. Draussen ist es wieder bitterkalt.

Dienstag, 12. Oktober 2004

Tag 26, Von Zamora zum Rio Esla

Wegbeschreibung und Bilder bis Granja de Moruela
Wegbeschreibung und Bilder ab Granja de Moruela

In der Nacht in meinem Luxusbett kommt mir noch eine Luxusidee. Warum nicht ein Taxi nach Montamarta nehmen und dafür etwas länger im Bett liegen? Danach schlafe ich wieder ruhig weiter. Am Morgen nehme ich es dann gemütlich, frühstücke ausgiebig und bestelle das Taxi. Putter muss in den Kofferraum. In Montamarta muss ich mich erst wieder an den Rucksack und das Laufen gewöhnen. Ein Tag Luxusleben und schon ist der Rhythmus weg. Doch ich komme wieder rein und der Tag verschönert sich immer mehr, der Himmel voller Cumulus-Wölkchen und dazwischen scheint die Sonne immer öfter durch. Ein richtig schöner Wandertag durch die Weite der Tierra del Pan.
In Granja steuere ich die Bar La Esquina an, wo ich erstmal ein Bier trinke und dann nach der Albergue frage. Relativ unfreundlich erhalte ich den Schlüssel und die Information, wo sich die Albergue befindet. Ich öffne die Tür, die schon einen ziemlich schäbigen Eindruck macht. Der Rest veranlasst mich erstmal draussen an die Sonne zu sitzen und die Lage zu überdenken. Muss ich jedes Loch akzeptieren? Nein. Zudem fühle ich mich noch stark genug und so entscheide ich mich mit allen Konsequenzen weiterzugehen. Schlüssel zurück und Adios Granja!
Hier erfolgt eine grosse Richtungsänderung. Es geht nicht mehr gerade nach Norden, sondern ab jetzt nach Nordwesten. Es ist 16 Uhr und Tábara, wo es eine neue Albergue mit heissem Wasser hat, ist 27km entfernt. Also entweder ein Gewaltsmarsch bis in alle Nacht hinein oder wieder mal draussen schlafen. Mal sehen, wie weit die Kräfte reichen. 4 Velofahrer überholen mich kurz vor dem Rio Esla. Dann erreiche ich ihn. Wunderschöner Fluss mit ebenso schöner Bogenbrücke. Danach geht es auf einem Trampelpfad ans Flussufer. Vielleicht hier schlafen? Ich schau mich mal nach Plätzen um und mache noch eine längere Rast. Mit Putter teile ich Wurst und Käse. Doch dann kommen Fischer vorbei und ich beschliesse, noch weiter zu gehen. Nach dem langen Tag folgt jetzt noch eine Kletterpartie über Felsen auf eine Anhöhe, von wo ich mit wunderbarem Blick über den Fluss und sein Tal belohnt werde. Die Sonne ist am Untergehen und scheint mir voll ins Gesicht. Geblendet verpasse ich so einen gelben Pfeil bei einer Abzweigung und verliere zum erstenmal den Camino. Nach einiger Sucherei und Rückkehr zum letzten Pfeil finde ich den Weg dann wieder. Die Chance Tábara heute noch zu erreichen ist damit vertan und es bleibt mir nur einen guten Schlafplatz zu finden.
Auf einer Anhöhe mit Rundumsicht und doch versteckt hinter Büschen lasse ich mich nieder und richte mich für die Nacht ein, die ziemlich kalt zu werden verspricht. Ziehe alles mögliche an und kuschle mich dann in meinen Schlafsack. Beobachte wie es Nacht wird und ein Stern nach dem anderen erscheint. Der Boden wird dabei immer härter und Kälte schleicht sich an. Immer wieder reibe ich meinen Körper, um ein bisschen Wärme zu erzeugen. Die Füsse spüre ich schon kaum mehr. Weiss nicht, ob ich irgendwann ein Auge zugetan habe. Noch nie habe ich den Sonnenaufgang so herbeigesehnt.

Montag, 11. Oktober 2004

Tag 25, In Zamora

Wegbeschreibung und Bilder

Wieder mal ein Stadttag und diesmal möchte ich die Kathedrale auch von innen sehen. Doch erstmal muss ich mich überwinden, das wunderbar bequeme und warme Bett zu verlassen. Etwas später als 8 Uhr komme ich als letzte zu meinen Pilgerkumpels (Jordi, Jesús, Andrea und neu auch noch Gerard aus der Bretagne) zum Frühstück mit Croissant und Kaffee und sogar ein bisschen Corn Flakes. Dafür breche ich heute sogar meinen Nestlé-Boykott. Andrea fährt nach Hause und Jordi und Gerard wandern weiter. Jesús fährt erst heute abend heim und will sich die Stadt ansehen, da er noch nie in Zamora war. Er lädt mich zur Besichtigungstour ein und ich bin froh einen so kundigen und heiteren Führer zu haben. Nach einer Runde mit Putter ziehen wir los. Erstmal zur Kathedrale, die eine ganz besondere Kuppel hat mit 16 Schnitzen. Auf dem Weg dahin kommen wir noch am Haus von El Cid vorbei und Jesús erzählt mir seine Geschichte. Immer wieder halten wir an und Jesús erklärt mir die Symbolik der Wappen. Er hat mal einen Kurs in Heraldik belegt. El leon rampante und el leon passante kann ich jetzt auch schon unterscheiden. Die Gassen sind noch angenehm leer. Erst später erscheinen Touristengruppen mit ihren Führern, denen wir ab und zu ein wenig zuhören. Worauf mir dann Jesús alles noch detaillierter ausführt. Die Kathedrale selber haut mich fast um im Inneren mit all ihrem Protz. Geballte, einschüchternde Macht. Auf mich wirkt alles etwas düster und geheimnisvoll. Nach der Kathedrale habe ich genug Geschichte und Kultur für einige Zeit und wir widmen uns den weltlichen Genüssen, in denen sich Jesús auch bestens auskennt. Am Plaza Mayor landen wir wieder in der gleichen Cerveceria wie gestern. Un vinito e algumas tapitas sind jetzt fällig. Da es draussen zu regnen angefangen hat, werden aus einem Glas Wein bald 3 und mit den Tapas kommen wir auch gut voran. Zuerst ein Stück Tortilla, dann pikant gewürzte Empanadillas. Und die Croquetas sollte ich natürlich auch mal versucht haben. Und dann noch etwas "muy tipico" von Zamora. Der Kellner empfiehlt Morcila, eine schwarze Wurst mit Zwiebeln, die in einer dicken Scheibe abgeschnitten und dann gebraten wird. Serviert auf einem Stückchen Baguette. Welche Leckerei! Und dann die Frage, ob ich Callos kenne. Nein, natürlich nicht. Also wird auch das noch bestellt. Und was kommt? Kutteln in einer würzigen Sauce. Ich probiere ein bisschen und sie schmecken gar nicht schlecht. Tunke aber dann doch lieber nur mein Brot in die würzige Sauce. Ja, und dann gibt es noch einen Queso muy tipico, eingelegt in Olivenöl. Ein wunderbarer Abschluss mit dem letzten Schluck Wein, einem Toro, der aus Tempranillo-Trauben ist und herrlich nach Brombeeren schmeckt. Der Regen ist vorbei, der Hunger gestillt, Zeit für Siesta. Wir drehen noch eine Runde mit Putter und dann nehmen wir Abschied. Jesús schenkt mir noch seine Handschuhe und sein Halstuch und was aus seiner High-Tech-Sammlung. Ich revanchiere mich mit einem Gottesöhrchen von der Praia da Luz. Bis 17 Uhr leg ich mich dann auf's Ohr. Dann geht es auf Einkauf- und Internetbummel. Finde für 20 Euro ein Wollleibchen und nach langer Suche auch einen Cybershop. Meine emails an Joe und Teresa sind mit Fatal error zurückgekommen. Wie schade! Ich schreibe trotzdem nochmals. Mami schreibt auch wieder. Vielleicht fliegt sie noch nach Santiago. Die Stunde ist schnell rum und wenn ich an Putter denke, der sicher auch wieder Hunger hat, komme ich ein bisschen in Stress. Noch Früchte und Proviant kaufen, Putter füttern, was essen, packen, schreiben, mit Putter nochmal spazieren und es ist schon wieder 20 Uhr und dunkel. Dann noch die Etappenbeschreibung von morgen studieren. Langeweile kommt da nie auf.

Sonntag, 10. Oktober 2004

Tag 24, Von El Cubo nach Zamora

Wegbeschreibung und Bilder

Irrtum Nr.1: Wir haben die Uhren umgestellt, weil uns jemand gesagt hat, dass dieses Wochenende die Umstellung Sommer- auf Winterzeit stattfindet. Und die Uhr in Cubo hat auch schon (oder immer noch) Winterzeit.
Irrtum Nr.2: Denke, die heutige Etappe sind nur 20km und freue mich auf einen leichten Wandertag.
Es ist bitterkalt und bläst immer noch heftig aus Südwest. Die Luft riecht nach Regen und Schnee. Zum ersten Mal ziehe ich über das Vlies auch noch die Windjacke an. Darin wird mir wieder etwas warm. Nachdem sich mein Körper ans Kühlen gewöhnt hat, muss er jetzt wieder auf Heizen umstellen. Meine Pilgergefährten ziehen Handschuhe und Halstücher aus ihren Rucksäcken. Denke, dass ich in Zamora noch etwas Wärmeres zum Anziehen kaufen muss. Lange Unterhosen oder Wollpulli oder so.
Wenigstens hat heute im ersten Dorf die Bar offen und ich wärme mich auf mit Speis und Trank. Meine Pilgerkumpels treffen auch ein und Jesús verdrückt gleich 2 riesige Bocadillos. Nachher laufen wir zusammen weiter und finden den gleichen Takt, er etwas schneller durch die gewaltige Energieladung, ich etwas langsamer. In Rekordzeit schaffen wir so die 20km nach Zamora. Kurz vor dem Ziel, als wir in Gedanken schon das Bier vor uns sehen und die heisse Dusche geniessen, schnuppert Putter intensiv in die Luft, macht dann kehrt und läuft sehr zielstrebig in die entgegengesetzte Richtung. Ich reagiere wieder mal zu langsam und denke, er kommt schon wieder. Doch Jesús erzählt was von Perra in Calor und rennt Putter hinterher. So laufe ich auch noch hinterdrein und rufe gegen den Wind an. Zum Glück gerät Putter irgendwie in ein eingezäuntes Gelände, wo er nicht mehr herausfindet und dort erwischen wir ihn. Jesús versteht nicht nur viel von Kultur und Geschichte, sondern auch von Hunden. Putter mag ihn auch, vielleicht weil er die Schäferhunde mit arabischen Flüchen verscheucht hat. Wieder mal was zum Staunen. Nach dieser Aktion treffen wir noch auf einen verirrten Pilger, der Richtung Süden will, und später, nach Tapas und einer Jarra, treffen wir auch wieder auf Jordi, diesmal nicht frischgeduscht und eingerichtet, sondern geschafft, weil er sich verirrt hat und einen Umweg über die N630 in Kauf nehmen musste.
Doch jetzt sitze ich gewärmt, entspannt und satt in einem angenehmen Einzelzimmer der Jugendherberge von Zamora. Putter liegt unten auf meiner Isoliermatte mit einem ganzen grillierten Huhn im Bauch. Und ich werde mich jetzt dann gleich in das wundervoll frisch bezogene Bett mit der guten Matratze legen und es geniessen, alle Glieder strecken zu können und nackt in frischen Leintüchern zu liegen. So geniessen, wie das nur jemand kann, der von Sevilla nach Zamora gelaufen ist. Wie "una tia para compujar huevos", wie mich Jesús gestern anerkennend genannt hat.

Samstag, 9. Oktober 2004

Tag 23, Von Salamanca nach El Cubo de Tierra del Vino

Wegbeschreibung und Bilder

Am Morgen erwache ich schon früh. Irgendwas rumort und hört sich an, wie die schleifende Leine von Putter. Da ich gestern abend nicht mehr mit ihm rausgegangn bin, beschäftigt mich eine ganze Weile der Gedanke, dass Putter irgendwohin pinkelt oder kackt und ich dann aufputzen muss. Doch aus dem warmen Schlafsack mag ich mich auch nicht aufraffen. So liege ich gedankenwälzend wach. Zum Glück ist es dann irgendwann 7 Uhr. Zeit aufzustehen. Mit Jesús habe ich verabredet um 8 Uhr loszulaufen. Draussen ist es bitterkalt und windig, doch kein Regen. Durch das langsam erwachende, von Wind und Regen erfrischte Salamanca zu laufen, ist ein Vergnügen. Jesús braucht noch einen Kaffee und steuert eine Bar an, während ich schon weiterlaufe. Da es sein erster Pilgertag ist, wird er mich so frisch ja wohl einholen. Nach Salamanca kommen wir ins freie Feld und der Wind pfeift uns um die Ohren und treibt Regenwolken vor sich her. In Callanos hoffen wir in der Bar Unterschlupf und etwas Warmes in den Bauch zu bekommen. Doch die Bar ist geschlossen und so heisst es, das erste Mal den Regenschutz herauszuholen und zu montieren. Er taugt nicht viel. Und ohne Jesús könnte ich ihn gar nicht richtig anziehen. Er stülpt ihn mir hinten über den Rucksack und schliesst die Seitenknöpfe, die der Wind jedoch bald wieder aufreisst. Wie eine Vogelscheuche mit wehenden Fetzen wandere ich so dahin. Zum Glück ist der Wind so stark, dass auch der Regenschauer bald vorbei ist und einem Loch mit blauem Himmel Platz macht.
Im nächsten Dorf hat die Bar offen und wir wärmen uns dort mit Kaffee auf. Jesús nimmt zuerst ein Bier, das tankt ("recuperar") den Körper am besten auf. Doch bei der Kälte schaudert es mich beim Gedanken an Bier. Dann geht es bald wieder auf die Carretera, wo wir bis El Cubo auf dem Pannenstreifen dahinwandern, eine schier endlose und zermürbende Strecke. Irgendwann geht es noch an einem riesigen Gefängnis vorbei. Dann über einen langgezogenen Hügel mit Kurven und dann endlich kommt die Abzweigung nach El Cubo. Doch im Dorf bin ich damit noch nicht. Jesús habe ich weit hinter mir gelassen. Dann endlich erreiche ich den Dorfplatz, wo auch der Pfarrer wohnt. Doch er ist nicht zuhause und so suche und finde ich die Kirche, wo die Albergue untergebracht ist. Und wer öffnet mir da? Jordi, wie immer schon frisch geduscht und eingerichtet. Wir umarmen uns und erzählen uns die letzten Erlebnisse. Dann trifft auch Jesús ein, völlig erledigt und mit schmerzverzerrtem Gesicht. 35km am ersten Tag sind kein Pappenstiel, auch nicht für einen Jesús. Doch die Härte kommt erst noch. Wir freuen uns natürlich darauf unsere strapazierten Muskeln unter einer warmen Dusche zu entspannen, als uns Jordi eröffnet, dass es nur kaltes Wasser gibt. Ich friere jetzt schon und da noch kalt duschen? Doch Jordi macht uns Mut und erzählt, wie herrlich er sich nach der Dusche fühlt. Ich kann es ihm ja auch ansehen. Also überwinde ich all meinen Widerwillen und siehe da, auch das geht. Jesús braucht noch etwas mehr Überwindung, doch dann erklingen plötzlich lautstarke Gesänge aus der Dusche. In der Dorfbar nehmen wir einen Apero und treffen auf ein holländisches Pilgerpaar, das Richtung Süden unterwegs ist. Dann nehmen wir die Einladung zum Nachtessen bei Pfarrer Don Tomas wahr.

Freitag, 8. Oktober 2004

Tag 22, Von Morille nach Salamanca

Wegbeschreibung und Bilder

Da ich allein in der Albergue bin, nutze ich die Privatheit für Morgengymnastik und um mich nackt abzubürsten. Das aktiviert die Durchblutung und wärmt. Viel Fett hat es nicht mehr auf den Rippen. Doch so werden auch mal die Reserven verbraucht und können dann wieder neu angelegt werden. Draussen erwartet mich kalter Wind und wildes Wolkenspiel am Himmel. Überlege noch kurz, ob ich mich wirklich in dieses Wetter wagen soll. Eine lange, schutzlose Strecke liegt vor mir. Doch dann laufe ich einfach los. Treffe wieder auf die Fussspuren von Andrea, der wohl gestern schon nach Salamanca gelaufen ist. Schon bald treibt mich ein heftiger Wind Salamanca entgegen. Auf der letzten Anhöhe raste ich und geniesse den Anblick der Silhouette von Salamanca mit seiner gewaltigen Kathedrale. Dann nehme ich die letzten Meter unter die Füsse und lande wieder mal mitten in einer Autobahnbaustelle, aus der ich Richtung Nationalstrasse entfliehe. Dann endlich kommt die Römerbrücke in Sicht, die ich überschreite und dann überwältigt bin von den riesigen Bauwerken Salamancas. Ich finde die Plaza Mayor und nehme ein verspätetes Frühstück mit Hochgenuss. Komme mir wieder mal wie im Schlaraffenland vor. Im Oficina del Turismo erhalte ich den Pilgerstempel und eine Karte mit der Information, wo die neue Herberge zu finden ist. Sie liegt gleich neben dem Garten von Galixto und Melibea, dem spanischen Liebespaar Romeo und Julia. Ich läute und sehe dann nach einer Weile jemanden im Handtuch aus der Dusche kommen. Er gestikuliert wild in meine Richtung und ich nehme an, das heisst, ich soll warten bis er sich was angezogen hat. Dann öffnet er und nach einer spanischen Begrüssung und dem obligaten "de donde eres" geht es auf gut bayrisch weiter, was mich schon mal gehörmässig schmelzen lässt. Allzu entscheidungsfreudig ist der Mann nicht, denn es dauert eine Weile, bis er alle Möglichkeiten, wo Putter bleiben könnte, überdacht hat. Doch dann ist er soweit und Putter darf in der Herberge unter der Treppe zu den Schlafzimmern übernachten. Ich darf erstmal nur meinen Rucksack abgeben. Zimmerbezug ist erst ab 15 Uhr. Ausgerüstet mit allen möglichen Infos mach ich mich dann halt noch immer in den Wanderschuhen und -klamotten auf zum Mittagessen und werde im Restaurante Valencia fündig, wo ich ein Menu mit allem drum und dran für 15 Euro vertilge. Da danach alles zu hat, geht es erstmal in einen Cybershop, wo ich emails beantworte. Aus Zeitmangel komme ich nicht mehr dazu einen Pilgergruss zu verfassen. Während ich schreibe, geht draussen der erste Regenschauer seit Beginn meiner Pilgerung nieder.
Danach belebt sich die Stadt wieder und ich gehe einkaufen für Putter und mich. Mag abends nicht nochmal ins Getümmel. Ich finde wunderbaren Jamon aus Guijuela für 50 Euro pro kg. Nicht gerade billig, aber es lohnt sich. In einem winzigen Gemüseladen kaufe ich Trauben und Feigen und will noch eine Flasche Wasser. Doch stattdessen verkauft mir der Besitzer eine Flasche seines Weins für 1.50 Euro mit den Worten "con pan y vino se anda el camino", sehr überzeugend. Schwer beladen und etwas gestresst, weil jetzt keine Zeit mehr für Besichtigungen ist. Muss halt mal wiederkommen. Salamanca ist es wert. In der Albergue sitzen jetzt ein paar Frauen und heissen mich sofort herzlich willkommen und freuen sich über Putter. Sie sind von der Vereinigung Los Amigos del Camino und hüten ab und zu die Herberge. Dann endlich Duschen. In meiner Abwesenheit ist noch ein weiterer Pilger eingetroffen. Dann kommt Raimund wieder und er nimmt meine Einladung zum Mitessen gerne an. Es gibt einen Tisch voll von Trauben, Feigen, Tomaten mit Oregano, Salz und Azeite, Jamon und Queso und natürlich Wein. Eine herrliche Schlemmerei, während der mir Raimund erzählt, dass er schon 4mal den Camino gelaufen ist und jetzt hier spanisch lernt. Er ist Pädagoge nd hat eine Doktorarbeit über die Erziehungskonzepte von katholischen Hochschulen geschrieben. Ziemlich brotlos. Jesús, der andere Pilger, stösst noch dazu und der Abend wird immer spanischer und heiterer und endet schliesslich mit einem Schluck Chinchón und Teller spülen.

Donnerstag, 7. Oktober 2004

Tag 21, Von Fuenterroble nach Morille

Wegbeschreibung und Bilder

Schlafe wunderbar bis mich der Wecker um 7.30 Uhr weckt. Auch Andrea steht schon auf und gegen 8 Uhr laufe ich zuerst los, da Putter schon wieder ganz ungeduldig winselt. Es geht schnurgerade auf der Cañada Real auf den Pico Dueña zu. Cañada Real ist die alte Viehtriebspiste, die den Bauern rechtlich zugeesichert ist. Hab ich gestern abend erfahren. Sogar mitten in Madrid gibt es noch so eine Cañada, wo die Bauern einmal im Jahr ihr Vieh durch die Stadt treiben. Nach etwa 2 Stunden kommt der sanfte Aufstieg auf den Pico Dueña. Ich raste beim ersten Kreuz im guten Gefühl, den Gipfel erreicht zu haben. 2 riesige Adler erheben sich gerade als ich ankomme und breiten ihre riesigen Schwingen aus. Dann kommt Andrea vorbei, er hat das Gefühl, dass das noch nicht der Gipfel ist und läuft weiter. Er hat recht und so besteige ich den Pico Dueña ein 2.Mal. Mit vollem Bauch geht es nochmal eine halbe Stunde aufwärts, die aber dann mit fantastischer Aussicht belohnt wird. Nach dem Abstieg weitet sich die Landschaft zu einer gewaltigen Ebene begrenzt durch Bergketten am Horizont und bestanden von einzelnen Eichen. Der Weg verläuft schnurgerade bis zum Horizont. Darüber ein weiter Himmel mit weissen Wolkengebilden und Wind, der nach Freiheit riecht. Ich schrumpfe in dieser Weite zum kleinen Pünktchen, das sich langsam vorwärtsbewegt in der Unendlichkeit (Undenklichkeit?). Woher? Wohin? Auf eine Art fühle ich mich unheimlich frei, aber gleichzeitig auch einsam und verloren. In San Pedro lege ich nochmal eine Rast ein und lagere mich auf einer Bank vor der Kirche. Bald leistet mir ein Mädchen Gesellschaft, das von den vorbeilaufenden Frauen mit Gesten als verrückt erklärt wird. Doch ihre Fragen scheinen mir ganz vernünftig. Vielleicht bin ich ja auch verrückt. Nur schade, dass ich so wenig spanisch kann. Sie riecht auch ungeniert an meinen Socken, die ich zum Trocknen ausgebreitet habe, und findet, sie riechen nach Käse und Schinken. Dann laufe ich nochmal 4km nach Morille, wo eine neue Albergue eröffnet haben soll. Ich steuere die Bar El Segoviano an und werde gleich herzlich begrüsst. Die Schwester Mari José verwaltet die Albergue. Bei einem Bier warte ich auf sie, die mich auch bald herzlich begrüsst und mir die Albergue zeigt. Putter hat ein geschütztes Plätzchen draussen und ich habe die kleine, aber sehr gemütliche und saubere Albergue für mich allein. Zudem kocht mir Mari José auf 20 Uhr ein warmes Essen mit Suppe und Huevos con Salada. Ich lasse mich einlullen von dieser herzlichen Gastfreundschaft und finde mich wieder nach der Verlorenheit in der Weite des Tages. Andrea taucht nicht auf. Wo ist er wohl geblieben? Wollte doch auch hierherkommen. Vielleicht treffe ich morgen wieder auf seine Fussspuren oder er auf meine. Vamos ver!

Mittwoch, 6. Oktober 2004

Tag 20, Von Baños de Montemayor nach Fuenterroble de Salvatierra

Wegbeschreibung und Bilder

32km durch die Berge werden nicht ohne sein...Mittlerweile habe ich auch die geschafft in einsamer Wanderung. Am Schluss haben mich dafür der Himmel mit ein paar Regentropfen und Andrea mit seinen Lippen geküsst. Der Empfang von Don Blas war weniger herzlich. Er hat gleich gesagt, mein Rucksack sei zu schwer.
Heute abend friere ich wieder. Wahrscheinlich hat mein Körper nicht mehr genug Reserven zum Heizen. Und nirgends etwas Wärmendes zum Essen oder Trinken in Sicht. Die 2 Bars sind geschlossen und die Besitzerin des einzigen Ladens muss zum Zahnarzt. Kann gerade noch eine Wurst für Putter ergattern, bevor sie schliesst. Leichte Panik schleicht sich ein. Doch da bringt Andrea Hilfe. Er hat die Küche in der Albergue entdeckt und organisiert mit Esther und Don Blas das Nachtessen. Wer kann kochen? Ich natürlich. Doch was schmeckt den Spanieren und wo sind Pfannen und Schüsseln etc.? Alle schwirren durch die Küche und wollen was tun und palavern auf spanisch. Wird mir alles zuviel und zu wild und so stehe ich beiseite, erweitere den vorhandenen Salat mit 5 Tomaten und einer grünen Paprika und decke den Tisch. Derweil nimmt Andrea das Kochen an die Hand assistiert von Esther. Huevos con Salsicha und Arroz con Ajo. Schmeckt ganz toll und während wir essen, kommen immer mehr Leute und der Tisch füllt sich mit Käse, Wurst, Brot, Früchten und Wein. Und alles ist ganz unkompliziert. Jeder nimmt, was ihm schmeckt. Nur ich fühle mich etwas gehemmt und verkrampft. Wieder mal ist loslassen gefragt. Ich wasche dann dafür wieder mal Geschirr und gehe dann ins Bett. Der Pfarrer, Don Blas, wünscht mir noch eine gute Nacht "che la noche te venga corte". Und sein Wunsch geht in Erfüllung.

Dienstag, 5. Oktober 2004

Tag 19, Von Aldeanueva nach Baños de Montemayor

Wegbeschreibung und Bilder

Da die Chicos schon früh losziehen und Putter auch schon winselt, wird mit dem Ausschlafen der müden Glieder nichts. Ich stehe auf und nehme den Asphalt unter die Füsse. Plötzlich springt ein aggressiver Wachhund aus einer Einfahrt auf uns zu und beisst Putter ohne Vorwarnung ins Bein. Statt was zu tun, stehe ich erstarrt da. Zum ersten Mal bereue ich , keinen Stock zu haben. Und mein Gewissen plagt mich ein bisschen, Putter nicht besser zu beschützen. Doch zum Glück ist es nichts Ernstes. Zuerst humpelt Putter ein bisschen, doch schon bald läuft er wieder normal. Nach knapp 2 Stunden bin ich in Baños, das mir auf den ersten Blick sehr gut gefällt. Ich steuere das Oficina del Turismo an, wo ich gleich an die Albergue verwiesen werde und einen Badeprospekt mitnehme, den ich in der benachbarten Bar beim Frühstück studiere. Die Albergue ist das beste, was ich bis jetzt angetroffen habe. Gute Betten in 4er-Zimmern mit frischer Bettwäsche, schöne Duschen, eine professionelle Küche, ein Garten mit Feigen- und Zwetschgenbäumen für Putter und ein Informationszentrum über die Via de la Plata. Da im Moment nicht viele Pilger unterwegs sind, habe ich das 4er-Zimmer für mich allein. Dann packe ich mein Bikini und steuere die Bäder an. Leider sind sie nur bis 13 Uhr und dann wieder ab 17 Uhr offen. So gehe ich halt zuerst Mittagessen. Ich bestelle Gazpacho und Merluza a la plancha und erhalte dazu noch Paella zum Probieren. Doch bei der Merluza streikt mein Körper plötzlich. Ich bringe keinen Bissen mehr runter und fühle mich zum Kotzen. Ein paar Trauben zum Dessert beleben mich wieder etwas. Total erschöpft lege ich mich zur Siesta nieder.
An der Badreception buche ich ein Blötterlibad, eine Presotherapie und geheiztes Schwimmbad. Fühle mich dabei wieder mal königlich und komme frisch und leicht beschwingt aus der Prozedur raus. Jetzt nichts wie Putter füttern, der schon lautstark reklamiert, und dann essen gehen, so denke ich. Doch José-Luis und Anna laden mich zu einer selbstgemachten Tortilla Espagnola ein. Es wird ein denkwürdiger Abend, an dem wir uns die Bäuche wie zuhause voll schlagen und sie uns dann vor Lachen halten. Mein Spanisch verbessert sich so auch immer mehr. José-Luis ist ein begnadeter Tortilla-Koch und verrät mir auch noch ein tolles Rezept für Croquetas. Den Rest des Schinkens, den ich beigesteuert hatte, packe ich ein für morgen als Reiseproviant. 32km durch die Berge werden nicht ohne sein...

Montag, 4. Oktober 2004

Tag 18, Von Carcaboso nach Aldeanueva del Camino

Wegbeschreibung und Bilder

Das feine Nachtessen mit den 4 spanischen Pilgern, Andrea und Jordi aus Barcelona, José-Luis und Anna aus Zaragoza, und die lebendige Unterhaltung, die für mich mehr wie Musik klang, da ich dem Sinn nicht so folgen konnte, motiviert mich zum Weitermachen und nimmt mir die Nervosität und Unruhe. Ich stehe kurz vor 7 Uhr auf und mache ein bisschen Morgengymnastik. Höre schon Putter bellen. Gepackt ist schnell. Schwieriger ist es den Apfel in Ruhe und Bewusstheit zu essen. Dann geht es los in die Morgenfrische wie immer begrüsst von Venus, die mich noch eine Weile begleitet, bevor sie im Morgenlicht verblasst. Wunderschöner Weg durch herrliche Korkeichenlandschaft. Nach der Frühstückspause lösen mich José-Luis und Ana auf meinem Stein ab. Beeindruckend ist der Arco von Alcaparra. Allein hält er noch die Stellung und erzählt von einstiger Grösse und Vergänglichkeit. Ich raste in seinem kühlen Schatten. 2 Velopilger kommen vorbei. Und dann noch eine Versuchung in Form eines Autofahrers, der mir anbietet, mich irgendwohin zu bringen. Ich schaue die Etappenbeschreibung an, finde aber nichts passendes und um mich ans Endziel fahren zu lassen, fühle ich mich heute zu stark. Zudem hat mich irgendwie der Ehrgeiz gepackt, diese 40km aus eigener Kraft zu schaffen. Einfach mal spüren, wie sich das anfühlt. Erstaunlich gut, solange ich laufe. Im ersten Laden in Aldenueva kaufe ich Futter für Putter und frage nach der Herberge. Dort haben sich schon Andrea und Jordi eingerichtet. Es hat ein Zimmer mit 4 Betten, eine versiffte Küche und eine kalte Dusche. Nicht gerade ein Aufsteller nach 40km. Dann kommen auch José-Luis und Anna an. Jetzt wird es knapp mit den Betten. Doch sie lassen den oberen Stock öffnen und so haben alle gut Platz. Das Bett ist ein Trampolin. Zum Glück bin ich so müde. Doch zuerst noch hungrig. Zu fünft machen wir uns zum Hotel Montesol auf, das noch ca. 1km (km41 heute!) entfernt liegt. Ich nehme Judias verdes und dann ein Solomillo mit den obligaten Pommes, von dem ich die Hälfte plus die Knochen von den Tellern meiner Mitpilger Putter bringe. Er hat endlich wieder Hunger und schon 2 Büchsen Hundefutter vertilgt. Auf dem Rückweg eile ich voraus, weil es so kalt ist. Mein ganzer Körper meldet, er braucht eine Pause. Und so kommt der Ort Baños de Montemayor gerade recht. José-Luis und Anna wollen dort ihren Pilgerweg abschliessen, da sie am Wochenende wieder arbeiten müssen.

Sonntag, 3. Oktober 2004

Tag 17, Von Cañaveral nach Carcaboso

Wegbeschreibung und Bilder bis Galisteo
Wegbeschreibung und Bilder ab Galisteo

Ich stehe wie sonst auf und hole Putter für einen Spaziergang in der Morgendämmerung. Wir laufen die Calle Calvario hinauf und lassen die Häuser hinter uns . Dann drehe ich mich um und habe eine fantastische Aussicht nach Süden über den Weg, den ich gestern zurückgelegt habe. Am Horizont schimmern noch die Lichter von Cáceres, die von Minute zu Minute blasser werden und mit dem beginnenden Tag ganz verschwinden. In einer Gasse begegne ich wieder José-Luis und Anna, die gerade das Refugio verlassen und eine Frühstücksbar suchen. Ich empfehle ihnen das Hostal Malaga, das ja schon seit 6 Uhr offen hat. Irgendwie wirken heute morgen alle freundlicher als gestern, sogar die mürrische Dicke hat heute morgen ein Lächeln für mich. Ich nehme gemütlich ein spanisches Frühstück und bestelle für 10 Uhr das Taxi nach Galisteo. Gönne mir einen ruhigen Tag und will ihn auch geniessen. Doch das ist nicht so einfach. Das Taxi kommt und der Fahrer erzählt mir Lokalgeschichten von Wildschweinen und einer Kuh, die einen Hausbesitzer aus dem WC gejagt hat und noch viel mehr, von dem ich immer nur ein paar Worte verstehe und mir den Rest selber zusammenzudichten versuche. Da ich anscheinend immer an den richtigen Stellen beifällig murmle oder mitlache, bekomme ich sogar noch unverdientermassen ein Kompliment für mein gutes Spanisch. Hochstaplerin! Putter geniesst die Fahrt auch bei mir auf dem Rücksitz. Was er jetzt schon alles erlebt hat, ein richtiger Pilgerprofi.
In Galisteo lasse ich mich vor dem Ortseingang absetzen. Möchte das Dorf zu Fuss durch die Stadtmauer betreten. Irgendwie hab ich es mir anders vorgestellt. Die Stadtmauer ist gewaltig, das Dorf dagegen winzig. Finde keinen Platz zum Schreiben und Verweilen, wie ich es mir vorgestellt hatte. Nach einem vergeblichen Versuch an einem Bancomat Nachschub zu besorgen, beschliesse ich, die 11-Uhr-Frische auszunützen und den 11km langen Spaziergang nach Carcaboso in Angriff zu nehmen. Stelle wieder mal fest, dass fixe Vorstellungen und Erwartungen nur zu Enttäuschungen führen. Doch heute ist es eine harte Lektion.
Der Camino ist einfach und leicht und doch dünkt er mich heute so schwierig wie noch nie. Ich sehe nur den Asphalt. Trotz Schatten spüre ich nur die Hitze und trotte mit meinem Schicksal hadernd völlig unmotiviert vor mich hin. Habe das Gefühl, dass sich heute alles geändert hat, das Wetter, die Landschaft, die Stimmung. Im Hinterkopf dämmert es schon, dass sich ja ständig alles verändert, nur ist es mir nicht immer so bewusst und v.a. kann ich es nicht immer mit gleicher Leichtigkeit akzeptieren. So grummle ich dahin, versuche die trüben Gedanken einfach vorbeifliessen zu lassen und mich auf die Schritte zu konzentrieren.
In Aldehuela bekomme ich in der Bar La Esquina ein Glas Wasser umsonst, aber auch das erfreut mich nicht richtig. O du schweres Schicksal, das ich auf meinem Buckel heute besonders spürbar herumschleppe. Von all diesen Gedanken komme ich völlig erschöpft in Carcaboso an und lasse mich in der Bar Ruta de la Plata nieder, wo sich auch alles scheinbar gegen mich verschworen hat. Der Fernseher läuft in unerträglicher Lautstärke, keine Tapas, dafür hält mir der Wirt ein hartgekochtes Ei hin. Irgendwann bringt er dann doch noch ein paar Oliven. Putter habe ich draussen angebunden und ihm eine Schale frisches Wasser hingestellt. Was jetzt? Zu müde zum Weitergehen, zu hässlich zum Bleiben? Da kommt plötzlich die Frau, die beim Eingang bewegungslos und ohne die Miene zu verziehen, gesessen hat, zu mir, fragt freundlich, woher ich komme und wird zu meinem Rettungsengel. Sie führt mich aus der Bar heraus in ihre Pension, zeigt mir Dusche und Waschgelegenheit und macht mich mit Andrea, einem Pilger aus Barcelona bekannt. Und so nimmt alles wieder einen positiven Verlauf. Erstmal Duschen und Kleider waschen. Dann meldet sich auch der Hunger und die Lust zum Essen wieder. Gehe doch ins Restaurant statt mit Señora Helena und ihrem Sohn Suppe zu essen. Auch ein funktionierender Geldautomat ist unterwegs zu finden. Und im Restaurant Las Golondrinas leiste ich Andrea Gesellschaft und wir unterhalten uns wieder mal auf Englisch. Ein bisschen mehr als nur wohin und woher. Das Essen ist superlecker, zuerst Spargeln mit Salat und dann Paella und zum Dessert hausgemachte Mousse de Cafe, alles für 8 Euro, dazu noch eine gute Portion Reste für Putter. Und dann Siesta. So wird aus dem Krisentag doch noch einigermassen ein Genusstag, der nur durch das Wölkchen der morgigen Etappenbeschreibung noch getrübt ist. 40km stehen mir da bevor mit Mauern überklettern und Flussdurchquerungen und wenigen Wegmarkierungen. Doch Achtung, muss aufpassen, dass das Wölkchen Wölkchen bleibt und nicht zum vernichtenden Orkan wird. Vertrauen haben und einfach Schritt für Schritt weitergehen! Im Moment leicht gesagt und gedacht!
Abends gehe ich nochmal mit Putter spazieren. Der Sohn von Helena gibt mir den Schlüssel zur Garage nur widerwillig und sagt mir 2mal, ich soll gut abschliessen. (Er traut mir nicht. Oft erwarte ich, dass die Leute mir ganz selbstverständlich vertrauen so wie ich ihnen vertraue.) Danach ziehe ich etwas verloren durch das Städtchen auf der Suche nach einem schönen Platz zum Essen. Gerade als ich alles abgeklappert habe und dabei auch auf eine Bar mit vielen Computern gestossen bin, die jetzt leider alle von spielenden Teenagern besetzt sind, da tauchen wieder José-Luis und Anna auf. Und auch Jordi ist wieder da. Wir gehen alle zusammen ins Las Golondrinas, wo etwas später auch noch Andrea auftaucht. Um mich herum rattert die Unterhaltung in spanischem Staccato. Eine Weile versuche ich mich darauf zu konzentrieren, doch dann gebe ich es auf und widme mich lieber dem Essen. Salat und eine wunderbar stärkende Sopa de Jamon, in der viele Fideli schwimmen. Und zum Dessert, heisst hier Postre nicht Sobremesa, noch ein Flan mit Schlagsahne. Wunderbar. Kann morgen ja nichts mehr schief gehen.

Samstag, 2. Oktober 2004

Tag 16, Von Casar de Cáceres nach Cañaveral

Wegbeschreibung und Bilder bis Embalse de Alcántara
Wegbeschreibung und Bilder ab Embalse de Alcántara

Morgens wieder das gleiche Ritual wie gestern. Esse noch ein paar Trauben bevor ich als erste loswandere. Der Weg ist einfach zu finden und leicht zu beschreiten. Ein alter Mann, der auf einem Eselwagen Stroh zu seinen Tieren auf einer entfernten Weide fährt, ist eine Weile mein Begleiter. Dann bin ich wieder allein in der weiten Landschaft, die mit ihren sanften Hügeln und runden Felsformationen sehr weiblich und irgendwie heimisch wirkt. Magisch auch. Mal sehe ich einen Delfinrücken, dann einen von einer Bulldogge bewachten Tempel. Auf einer eingezäunten Weide steht traurig eine Kuh neben ihrem toten Kälbchen, während daneben eine Kuh mit einem quicklebendigen, schneeweissen Kalb steht. Wieder einmal stehen Leben und Tod gleich nebeneinander.
Ein riesiger, flacher Felsen, der oben einen kleinen Krater hat, der aussieht als wäre er Landeplatz für Ausserirdische, wird zu meinem Landeplatz, wo ich nochmal eine Portion Früchte esse, meinen Zehen frische Luft und Spielraum verschaffe und die schweissnassen Socken trocknen lasse. Beim Weiterlaufen kommt irgendwann die Embalse de Alcantara in Sicht und damit auch die N630 auf Hör- und Sehdistanz. Doch noch führt der Weg oberhalb der Strasse durch die Felsen und ich freue mich schon, dass die Spanier in den letzten 2 Jahren einen neuen Weg angelegt haben. Doch zu früh. Der Weg führt abwärts und mündet in die Strasse. Ich setze mich erstmal auf den letzten Meilenstein. Da tauchen zuerst 2 Velopilger auf und dann auch noch Jordi in bester Laune. Er hat keine Angst vor der Strasse und sein Mut steckt auch mich an und so laufe ich in einigem Abstand hinter ihm her, während rechts von mir die Autos vorbeibrausen und ab und zu ein Lastwagen vorbeidonnert. Putter schmiegt sich dann jedesmal ganz eng an die Leitplanke und ich laufe etwas hinter ihm, damit er mich nicht über die Leitplanke schmeisst beim Ausweichen. Es geht über 2 lange Brücken (Rio Almonte und Rio Tajo), viele Kurven und lange, steigende Geraden. Bastante Carretera! Dann endlich taucht das geschlossene Hostal Miraltajo auf, wo wir aufatmend Rast machen. Jordi trinkt nur eine Cola und geht dann weiter, während ich mit Putter ausgiebig raste. Die ersten 20km liegen hinter uns, aber nochmal 14km vor uns.
Ich möchte nicht zu spät in Cañaveral ankommen und so laufen wir um 14.30 Uhr los mitten in die Mittagshitze, die die folgenden Kilometer einmal mehr zum Wüstentraining macht. Kein Schatten da. Aber wunderbare Aussicht in alle Richtungen. Irgendwann taucht in der Ferne wie an den Berghang geklatscht Cañaveral auf. Vorbei an weidenden Viehherden mit einem langen Blick in die Augen eines Fuchses, den wir wohl aus seiner schattigen Siesta in einem nahen Erdloch aufgeschreckt haben. Dann huscht er seinen buschigen Schwanz nachschweben lassend von dannen. Putter hechelt wie ein Weltmeister und so lassen wir uns nach gut einer Stunde nochmal im kühlen Schatten einer verfallenden Hütte nieder. Doch auch nach dieser Pause kommt Putter nicht aus dem Hecheln heraus und legt sich ab und zu einfach in den Schatten eines Busches. Dann warte ich ein Weilchen, bis er wieder weiter mag. So kommen wir mit Stop and Go langsam Cañaveral näher und die Häuser nehmen langsam Form an. Gleich am Dorfeingang ist ein wunderbarer Brunnen, wo wir uns erstmal erfrischen, ich gleich mit dem Kopf unter den Wasserhahn und für Putter eine Schale voll frisches Wasser, das er gierig trinkt. Dann steuere ich direkt auf's Hostal Malaga zu. Mal wieder ein eigenes Zimmer. Putter bekommt die Lagerhalle. In einer Bar erfahre ich, dass es Taxis gibt. Mal sehen, vielleicht gönne ich mir morgen zur Feier des Sonntags mal wieder eine Taxifahrt, denn die Kilometer von heute spüre ich im ganzen Körper und die kommende Etape wird nicht einfacher sein.

Freitag, 1. Oktober 2004

Tag 15, Von Valdesalor über Cáceres nach Casar de Cáceres

Wegbeschreibung und Bilder bis Cáceres
Wegbeschreibung und Bilder ab Cáceres

Schlafe in Etappen, mal bellt Putter, mal kehren laute Nachtschwärmer heim, mal donnern Lastwagen vorbei, mal schnarcht José-Luis etwas lauter. Dann endlich morgen. Zuerst piepst Anna's Wecker, dann tütelt meiner. Wir stehen gleichzeitig auf und jeder packt seine Siebensachen. Ich gehe als erste los. Die anderen wollen noch in der Cafeteria der Tankstelle ihre gestern so lecker beschriebene Tostado mit Aceite essen. Ich bleibe bei meinen Früchten und nutze die Morgenfrische lieber zum Laufen. Begleite wieder mal die N630 oder sie mich. Nach ca. 1 Stunde taucht die Silhouette von Cáceres zum ersten Mal auf und spielt ab dann Verstecken mit mir. Noch 2 Hügel liegen dazwischen und dann eine lange Gerade im Stadtrandgebiet, wo sich Justiz und Spital angesiedelt haben. Noch vorher vorbei an militärischem Sperrgebiet, wo mir eine Horde joggender Männer entgegenkommt mit einer Frau als Schlusslicht, die mich fragt, wohin die anderen gerannt sind. Dann endlich kommt die Altstadt thronend auf einem Hügel in Sicht. Wir nehmen den Anstieg unter Füsse und Pfoten und ruhen uns dann auf einer Steinbank in einer ruhigen, schattigen Ecke direkt vor Parador und Oficina del Tourismo aus. Wasser für Putter und Banane für mich. Dann geniesse ich den Gang durch die ruhigen, schattigen Gässchen zwischen den mittelalterlichen Mauern von Kirchen, Palästen und Klöstern und erreiche schliesslich die grandiose Plaza Major, wo ich mich im Schatten von Arkaden zum spanischen Frühstück mit Cafe con Leche und Tostada con Aceite niederlasse. Putter kugelt sich gleich zusammen zum schlafen. Bald treffen die anderen 3 Pilger ein und lassen sich im Café nebenan nieder. Was jetzt? Wie weiter? Internetcafé wäre schön. Ein paar aufmunternde Worte lesen. Spüre, wie dünnhäutig ich geworden bin und beim Lesen laufen mir die Tränen herunter. Wie gern möchte ich wieder mal in den Arm genommen werden, mich einfach gehen lassen und an eine starke Schulter anlehnen. Bin ich auf Liebesentzug? Nach der Internetsession fühle ich mich wieder gestärkt und bin für das Pilgerpaar aus Zaragoza das verführerische Teufelchen, das mit einer Taxifahrt nach Casar de Càceres lockt.
Meine Verführung gelingt und um 15 Uhr treffen wir uns am Taxistand. José-Luis ist auch Taxifahrer und organisiert jetzt die Fahrt. Wir finden zu viert inkl. Putter und Rucksäcken Platz. Anna und José-Luis haben ein schlechtes Gewissen und überreden mich zum Stillschweigen über die Taxifahrt, wenn wir in die Albergue kommen. Entspannt und ziemlich frisch treffen wir dort direkt an der Plaza de España ein. Jordi ist obwohl zu Fuss schon da und frisch geduscht. Auch seine verschwitzten Klamotten hängen schon frisch gewaschen am Ständer. Das Pärchen zieht sich in den hinteren Teil zurück und ich nehme mir ein Bett in der oberen Reihe. Die Matratze fühlt sich angenehm an, nicht so hart wie die Matten von Valdasalor, aber auch kein Trampolinbett. Duschen und dann Siesta. Irgendwann weckt mich Putter's Bellen und ich nehme gleichzeitig unterdrücktes Liebesgestöhn war und freue mich drüber. Denke an meine letzte Liebesnacht mit Joe im Camper neben der Wettsteinbrücke am Rheinufer und an die erfrischende Dusche nackt mitten in Basel um 4 Uhr morgens...
Nach dem unüberhörbaren 6-Uhr-Schlagen der Glocke vom Ayuntamiento gehe ich mit Putter auf Futtersuche. In einem Dia-Laden kaufe ich eine Dose Hundefutter und mische sie dann mit ein bisschen Trockenfutter aus Mérida. In 2 Etappen frisst er es schliesslich. Nachdem Mittagessen in Cáceres habe ich nicht mehr viel Hunger und esse nur noch ein paar Früchte und 2 Magdalenas. Der Dorfprofessor hält mir derweilen einen 4-sprachigen Monolog über die romanische Kultur, zitiert Verse auf portugiesisch aus den Luisiadas von Camôes und summt Arien aus Madame Butterfly. Ich höre fasziniert und staunend zu und zum Schluss bedankt er sich noch für mein Zuhören.
Während José-Luis nach seinem Liebesabenteuer schon tief schläft, ist Anna noch hellwach und offeriert mir Torta de Cáceres, eine wie Pilgersocken stinkende, aber ganz wunderbar schmeckende Käsespezialität. Dazu Crackers und einen Schluck Wein. Und ganz nebenbei lerne ich auch noch die spanische Vergangenheitsform, die wie im Züritüütsch mit "haben" gebildet wird, was meinen Sprachsalat wieder etwas entwirrt. Gegen 22 Uhr liegen wir alle in unseren Kojen und versuchen trotz halbstündigem, aufschreckendem Glockengeläut zu schlafen. Irgendwann erwache ich mit dem Bild, dass ich auf dem Sterbebett liege, aber vorher noch ein letztes Mal Joe küssen möchte.

Donnerstag, 30. September 2004

Tag 14, Von Alcuéscar nach Valdesalor

Wegbeschreibung und Bilder

Ziehe um 7.40 Uhr los und habe Glück, das Kloster ist offen und ein Bruder wünscht mir Buen Viaje. Fülle noch meinen Wasservorrat auf und dann wandere ich in die Dunkelheit. Bald schon irre ich an den Weggabelungen herum, da die Taschenlampe kaum noch scheint. Braucht neue Batterien. Dann mit dem Hellerwerden kann ich die gelben Pfeile wieder erkennen ohne die Mauern abzutasten und es geht in eine weite Landschaft hinein, die durch Hügelketten begrenzt ist. Erster Halt bei der Römerbrücke bei den Casas de Don Antonio. 2.Halt im kühlen Schatten des Wellblechschuppens vom Flughafen. Plötzlich höre ich ein Auto. Bellen und Rumoren im Schuppen folgt. Dann das Rollen einer Schiebetür und dann biegt der respektheischende deutsche Schäfer um die Ecke. Ich bleibe ruhig sitzen und rede auch Putter beruhigend zu nd irgendwann pfeift es dann zum Glück von der anderen Schuppenseite und der Wächter gehorcht seinem Herrn. Seit dem Bahnhofserlebnis in Almendralejos sind meine Nerven wieder einiges stärker. Und Putter's vielleicht auch. Nach ein bisschen Fussgymnastik und Meditieren nehme ich noch das letzte Stück unter die Füsse, das mich nach Valdesalor bringt. Im Hogar del Pensionista erhalte ich die Auskunft, dass schon ein Peregrino da ist und dass sich das Albergue im ersten Stock des Ayuntamiento befindet. Ich gehe wieder quer über die Plaza de España zum Gebäude mit den Flaggen. In der Sala de Actos sitzt Jordi auf einer Matte am Boden und pflegt seine Füsse. Ich versorge Putter mit Wasser und richte mich dann gemütlich auf einer 2.Matte ein. Zum ersten Mal bin ich froh um den Schlafsack. Nach einer erfrischenden Dusche und dem Waschen der verschwitzten Wanderklamotten mach ich es Jordi gleich und halte erstmal Siesta. Gegen 18 Uhr gehe ich auf die Pirsch nach Futter für Putter. Im ersten und wahrscheinlich einzigen Dorfladen gibt es keine Büchsen, aber ich erhalte den Tip, dass vielleicht der Shop an der Tankstelle welche hat. Also spazieren wir der N630 entlang zur Tankstelle. Doch auch hier nichts. Das Restaurant, bzw. Bar und Cafeteria sind überflutet von einer Busladung Touristen. So bestelle ich nur ein Bier und setze mich auf einen verstaubten Stuhl. Eine der Bustouristinnen nähert sich und meint, Putter habe Durst. Sie kommen aus Faro und sind Portugiesen, was mich gleich anheimelt. Doch nun funktioniert auch mein Portugiesisch nicht mehr richtig und ich radebreche nur einen iberischen Sprachsalat. Doch irgendwie verständigen wir uns auch so. Auf jeden Fall organisiert sie ein Glas Wasser und eine Scheibe Schinken für Putter. Und bevor der Bus losfährt rennt noch ein Portugiese daher mit 2 Scheiben Schinken. Mangels anderem kaufe ich dann auf dem Rückweg im Dorfaden noch 3 Pack Frankfurter Würstchen, die Putter gierig verschlingt. Für mich einen Kuchen, den ich aber auch Putter überlasse, als ich merke, dass er den auch mag. Ich bekomme dann im Hogar del Pensionista ein Prato Combinado (2 Spiegeleier, 2 Scheiben gebratener Schinken und Pommes) mit einem knackigen Salat. Dazu ein Glas Wein, damit ich beim Verkehrslärm der N630 schlafen kann. Unterdessen ist das Pilgerpaar aus Zaragoza, Anna und José-Luis, auch eingetroffen und wir machen ein Massenlager.

Mittwoch, 29. September 2004

Tag 13, Von Aljucén nach Alcuéscar

Wegbeschreibung und Bilder

Schlafe wunderbar bis mich Putter um halb sieben schon wieder weckt. Nach einem kurzen Spaziergang packe ich meine Sachen, esse noch die übrigen Trauben und eine Banane und dann mache ich mich wieder auf den Weg in die frische Morgendämmerung hinein. Zuerst noch ein bisschen Asphalt, doch dann geht es ohne irgendeine menschliche Begegnung und ebenso ohne die befürchtete Begegnung mit den Mastines durch Korkeichenweiden, 2 schöne Hochebenen und zum Schluss noch über einen Hügel, von dem aus die Kirche von Alcuéscar zu erblicken ist. Nach knapp 5 Stunden inkl. halbstündiger Pause bin ich etwas geschafft und lagere mich im Schatten eines Strompfeilers, dessen Betonsockel wunderbar kühl ist. Nochmal Füsse an die frische Luft strecken, Wasser trinken und ein paar Datteln essen, dehnen und mit den Zehen wackeln. Dann wandere ich in Alcuéscar ein, wo ich erstmal die Ebbe in meinem Portemonnaie in Flut verwandle, dann für Putter eine Dose Hundefutter im Dia kaufe und mir das Dorf ansehe und nach einem gemütlichen Verweilplatz Ausschau halte. Ich werde im Meson Alejandro fündig, wo ich mir von Pepe, einem Spanier wie aus dem Bilderbuch, einen Teller mit Jamon, Judias verdes, Papas bravas und Magro en Tomate zusammenstellen lasse. Zu einem Bier schmeckt das herrlich. Putter hat sich gleich hingelegt und schläft friedlich. Hat nur ein paar Happen Jamon genommen. Teurer Geschmack! Bin Zuschauerin im spannenden Dorftheater. Nach einem Cafe con Leche mit Wasser breche ich auf und finde einen friedlichen Park Brunnen und Wasserzapfstelle. Dort lasse ich mich zur Siesta nieder. Will die Mönche im Kloster "Hermanos de Maria y los Pobres" noch nicht stören. Ein alter Mann und eine Schar Kinder kommt vorbei, die sich alle auf englisch mit Namen vorstellen. Sie wollen wissen, wo ich schlafe und nennen das Kloster "Casa de Locuras". Als das Klosterglöcklein wieder ruft, folge ich ihm und betrete zum ersten Mal ein Kloster. Der Bruder Pförtner bittet mich und auch Putter gleich herein und stempelt die Urkunde. Dabei ist mir peinlich, dass ich die Personalien darauf noch nicht ausgefüllt habe. Dann erkundigt er sich, ob ich Futter für Putter habe und überlässt mich dann der Obhut von José Angel, der Jeans trägt statt Kutte und auch ein bisschen englisch spricht. Dieser zeigt mir zuerst einen Platz für Putter, bevor er mir dann die Zelle 6 zuweist und die Klosterregeln für Gäste erklärt. Vor dem Duschen bringe ich Putter noch Futter und José Angel improvisiert mit seinem Mini-CH-Taschenmesser einen Wassernapf. Dann endlich Duschen. Welch wohlige Erfrischung! Werde bald mit den Brüdern essen und nach dieser Nacht wieder um eine Erfahrung reicher sein.
Erkenntnis damals: Hab mich wieder mal vergeblich ins Bockshorn jagen lassen durch Erzählungen von anderen und mir Sorgen um Putter gemacht, dass er von den Mastines zerfleischt werden könnte.
Erkenntnis 4 Jahre später: Es ist weise, mögliche Gefahren zu kennen und sich ohne Angst darauf vorzubereiten. Und dann, wenn die Gefahr nicht eintritt, sich darüber zu freuen. Und jetzt freue ich mich, dass ich in den 4 Jahren was dazugelernt habe.
Geständnis: Die Evelyn von damals hatte nicht den Mut und die Entschlossenheit, ihren Vorsatz wahrzumachen. Statt mit den Mönchen zu essen, ging sie in die Stadt und irrte herum gequält von ihren Ängsten, sich falsch zu benehmen oder was falsches zu sagen. Die Evelyn von heute erlaubt sich und anderen, Fehler zu machen und versucht, daraus zu lernen und sie sich und anderen zu verzeihen.

Dienstag, 28. September 2004

Tag 12, Von Mérida nach Aljucén

Wegbeschreibung und Bilder

Endlich raus aus dem "Loch" des Hostal Salud in Mérida. Erstmal wieder der Strasse nach zum Lago Proserpina. Dort Apfelpause nach Sonnenaufgang. Wunderschön wieder mal einen See, eine ruhige Wasserfläche, zu sehen. Dann geht es weiter durch Korkeichenlandschaft. In Carrascalejos halte ich den Kopf unter den Wasserstrahl am Dorfbrunnen. Ist mit meiner Frisur kein Problem mehr. Mit herrlich erfrischtem Kopf geht es weiter an einer Schweinefarm vorbei und dann stehe ich plötzlich mitten auf einer Autobahnbaustelle. Hier wird die Via de la Plata von Sevilla nach Gijon auf 4 Spuren ausgebaut. Ich finde einen Weg aus der Baustelle raus ins Dorf, wo alle Bars, Läden und die Albergue geöffnet sind. Bei einem Cafe con Leche erzählt mir Elena von der Albergue und das klingt so gut, dass ich beschliesse, hier zu übernachten statt den Gewaltsmarsch nach Alcuéscar unter die Füsse zu nehmen. Nach Mérida eine Oase der Wärme, Freundlichkeit und Sauberkeit, obwohl man das Rauschen der Autos auf der nahen N630 hört. Aber vom Nachbarhaus ist auch das Gurren der Tauben zu hören. In der Siesta liege ich auf der besten Matratze seit Teresa's Suite.
Beim Nachtessen mit Gazpacho, Macarrones con Jamon und Peres en Almibar tauchen nochmal 2 Pilger auf, ein Paar aus Zaragoza. Während ich mich später im Albergue mit der Frau unterhalte, kommt der Mann splitternackt und sichtlich erfrischt aus der Dusche. Wir tun alle, wie wenn nichts wär. Wir sind schliesslich peregrinos. Schaue noch ein bisschen in den Vollmond und höre dem Verkehrsrauschen zu.

Montag, 27. September 2004

Tag 11, In Merida

Nichts geschrieben.

Sonntag, 26. September 2004

Tag 10, Von Villafranca nach Mérida

Wegbeschreibung und Bilder (bis Almendralejos)
Wegbeschreibung und Bilder (ab Almendralejos im Zug)
Wir brechen schon um 7.30 Uhr auf. Ein kleiner Spanier mit Motorradhelm öffnet mir die Tür und wünscht mir gute Reise. Das dröhnende Nachtleben ist vorbei und alles ist wieder ruhig und morgenfrisch. Heute fühle ich mich in den Wanderschuhen wie in Finken. Kein Schmerz mehr da. Die 2. Compeed-Haut hält was die Produkt Manager von Johnson + Johnson versprechen. 2 Frauen geben mir den letzten Tip, wie ich aus der Stadt rauskomme und dann öffnet sich alles wieder in herrliche Weite. Erstmal durchatmen. Ich laufe auf Traktorpisten endlos geradeaus zwischen Rebfeldern, die mir ein leckeres Frühstück spenden. Die Traubenernte ist in vollem Gang und überall sind Gruppen am Pflücken. Die weissen Trauben wachsen direkt am Stock und die Pflücker stellen einen Plastikeimer darunter und zupfen die Traubendolden ab und lassen sie in den Eimer fallen. In unglaublicher Geschwindigkeit. Ich sehe nicht genau, ob sie ein anderes Werkzeug als die Hände benutzen. Ich komme gut vorwärts in der kühlen Morgenluft. Bei einer Brücke mache ich kurze Pause und esse meinen Apfel. Habe noch nicht entschieden, ob heute nach Almendralejos oder Torremejia. Da kommt ein Velofahrer, hält an, grüsst mich und rät mir nach Almendralejos zu gehen, das sei grösser und interessanter. Nun also, schon entschieden. An der Abzweigung folge ich meiner Beschreibung und laufe voll verkehrt. Lerne, dass Beschreibungen nicht zu trauen ist. Doch auch da ist schon ein Helfer bereit, der mich wieder in die richtige Richtung weist und das mit einem strahlenden Lachen.
Noch 3 km Asphalt und dann sehe ich, wo all die Trauben landen, in riesigen Edelstahltanks. Am Stadtrand hausen einige Zigeuner, die wahrscheinlich bei der Ernte helfen. Ich laufe durch die Calle San Antonio vorbei am Hotel España direkt auf die Kirche zu. In der Nähe ist auch gleich die Policia Local, die meine Urkunde stempelt und mir ein Hotel in der Nähe weist. Doch schon als ich eintrete, weiss ich, dass Putter hier nicht willkommen ist. Wir versuchen es noch beim Hotel España. Der rote Teppich ist ausgerollt und vor einer 2-flügeligen Glastür sitzen rechts und links 2 Steinbulldoggen, die so echt aussehen, dass Putter sie erstmal ausgiebig beschnuppert. Hier müssten ja dann Hunde willkommen sein. Wir treten ein und stehen gleich vor dem Receptionstischchen, hinter dem ein älterer, nicht unsympathischer Mann sitzt. Ich sage den Satz, den ich mir zurechtgelegt habe: hay una habitacion para dos peregrinos? Er sagt etwas auf spanisch, das ich als "wenn es nur das ist" interpretiere und mich schon freue. Doch leider ein Missverständnis. Er wiederholt nochmal und diesmal verstehe ich, dass alles voll ist. Ich denke, er will uns abwimmeln und weise auf die Schlüssel hin, die alle an ihren Haken hängen. Doch auch dafür gibt es eine Erklärung, das ganze Hotel ist von einer Hochzeitsgesellschaft gebucht. Ok, dann erstmal pinkeln und was essen.
Im Meson Zara gibt es Ensalada Mixta und Calamares a la Romana, die auch Putter schmecken. Sehe eine Weile dem Treiben einer jungen Familie mit Freunden zu, die Bier trinken und rauchen und dazwischen dem ca. 2-jährigen Jungen immer wieder einen Ball fortwerfen und dazu laut "mira, mira" schreien. Als Ball und Junge zu nahe kommen, weist sie Putter mit einem unwilligen Knurren zurecht. Er hat ein ausgezeichnetes Gespür für unberechenbare Situationen und mag es nicht, wenn man seine Ruhe stört.
Ein anderes Hotel ist nicht in Sicht, dafür der Bahnhof, der einen wunderbar blau gekachelten, leeren Wartesaal hat, in dem ich es mir gemütlich mache bis um 20.41 der Zug nach Merida fährt. Mal schauen, ob wir mitkommen. Der nette Bahnangestellte, der einige Male durch die Halle läuft, weist mich zwar darauf hin, dass Hunde nur bis 6kg Gewicht erlaubt sind, gibt mir aber auch zu verstehen, dass er nicht unbedingt sieht, dass Putter einsteigt. Wenigstens interpretiere ich das so.
Als ich mal den Wartesaal mit Putter verlasse, setzt sich draussen gerade ein alter Mann auf eine der 3 Steinbänke. Ich setze mich auch und er bietet mir einen Karton als Kissen auf dem harten Beton an. Ich lehne dankend ab mit der Erklärung, dass ich den Beton erfrischend kühl finde, worauf er meint, es sei nicht wegen der Kühle, sondern wegen der Weichheit, worauf ich erwidere, dass mein Hintern weich genug sei. So fängt unsere Unterhaltung an und zieht sich mit einfachen Fragen und Antworten durch den Nachmittag. Er weist mich noch daraufhin, dass es gefährlich sei, das Gepäck einfach so liegenzulassen, worauf ich es ihm zuliebe hole. Dann will er auch noch wissen, ob ich männlich oder weiblich sei, was mich ziemlich heiter stimmt. Wohl beides in immer wieder neuen Mischungen. Aus der benachbarten Cafeteria tönt lautes, aggressives Spanisch, alkoholangeheizt. Gegen 17 Uhr klingt der Lärm ab, die Cafeteria schliesst und mit ihr auch die Bahnhofstoilette, in der ich mich noch waschen wollte. Pech gehabt. Gepinkelt wird hinter dem Haus. Um 18 Uhr gibt es wieder Betrieb. Der Stationschef kommt wieder mit seinem lustigen Hund Typ Lexa und Rinaldo. Er zieht sich die rote Mütze an, nimmt die rote Fahne unter den Arm und stellt die Weichen Modell 1920 von Hand durch Umlegen zweier Hebel, die vorher schon von 3 Männern fotografiert worden waren. Der Zug von Merida fährt ein. Ein- und Aussteigen. Abfahren. Dann erstirbt der Bahnhof wieder in seinen Dornröschenschlaf. Plötzlich kommt der Stationschef mit seinem Hund auf uns zu und lässt ihn laufen. Mit stockt der Atem. Denn schon vorher haben sich Putter und Ruz fast in die Haare gekriegt, zumindest hat Putter auf die Spielvorschläge von Ruz mit Knurren geantwortet. Ich versuche ruhig zu bleiben und meine Ruhe auf Putter zu übertragen. Und dann erhalte ich eine Lektion in Hundeerziehung. Ruz gehorcht seinem Herrn auf's Wort und Putter bleibt einigermassen ruhig, sodass es nicht zu einer Schlägerei zwischen den etwa gleich grossen Rüden kommt. Vielleicht auch weil Ruz erst 2-jährig ist. Ich finde es total mutig, dass der Stationschef gewagt hat, seinen Hund in dieser Situation loszulassen und sage ihm das auch. Später, als ich bei ihm das Ticket nach Merida kaufe, wünscht er mir viel Glück, dass ich es mit Putter auf den Zug schaffe. Ich schenke ihm dafür die Rose von Johannes als Glücksbringer. Aber er ist anscheinend wie ich ein Glückskind und sagt, dass er sie seiner Frau geben wird, der das Glück fehlt. Dabei hat sie einen echt guten Typen als Mann. Der alte Mann bietet mir ein Zitronenbonbon an und ich nehme es trotz der letzten schlechten Erfahrung und der Erinnerung an die mütterlichen Warnungen, nichts von fremden Männern anzunehmen. Und für einen Moment tauchen auch ähnliche Befürchtungen auf, als der Bahnhof wieder menschenleer wird bis auf uns zwei. Doch als sich der alte Mann herzlich von mir verabschiedet, mir viel Glück wünscht und noch 2 Küsse auf die Wangen drückt, bereue ich diese Gedanken.
Nach 18 Uhr öffnet die Cafeteria wieder und ich kann mich doch noch erfrischen und mich Merida-fein machen. Im Meson Zara, wo ich zu Mittag gegessen habe, organisiere ich noch Küchenreste für Putter, da wir erst spät ankommen werden und ich dann nicht noch auf Futtersuche will. Eine schöne Portion Knochen mit etwas Fleisch dran, die Putter genüsslich verzehrt. In mir steigt langsam Unruhe auf, werden wir es auf den Zug schaffen, wenn nicht, was dann? Und was kommt nach Merida? Wie werden wir die beiden mehr als 30km langen Tagesetappen durch von Mastines bewachte Schafherden meistern? Immer wieder sage ich mir "Schritt für Schritt" und beruhige mich damit ein wenig. Doch leicht fällt es mir im Moment nicht. Dann endlich ist der Zug da. Ich gehe zur Tür am letzten Wagen, wo einige junge Männer stehen. Ich steige die 3 steilen Tritte hinauf und versuche dann Putter, der ängstlich zögernd draussen bleibt, zu locken. Die Schar junger Männer fängt an, Putter zu foppen, indem sie ihn Cabra nennen. Das lässt er sich nicht 2mal sagen und klettert wie eine Ziege zu mir hoch. Wow, wir sind drin und der Zug fährt mit uns ab. Unglaublich. Ich setze mich in einen leeren 2er-Sitz und Putter legt sich zusammengerollt auf den Boden. Da kommt auch schon der Kondukteur und staunt ein wenig. Doch er akzeptiert uns und setzt sich bald dazu, indem er die vorderen Sitzlehnen umklappt und aus unserem 2er-Abteil ein 4er-Abteil macht. Er heisst Luis und kommt aus Sevilla. Der 3.sympathische und hilfsbereite Mann an einem Tag. Er erklärt mir noch, wie ich vom Bahnhof in die Stadt komme und wo es eine Pension haben könnte. Putter fährt zum ersten Mal Zug und macht das wie ein Profi. Wirklich erstaunlich. In Merida kriegt Putter wieder Cabra zu hören und steigt souverän aus. Dann geht es auf Hotelsuche. Ich lande im Hostal Salud im grössten Loch meines Lebens für 30 Euro. Als ich den Rolladen hochziehe, erschrecke ich erstmal. Das Fenster öffnet sich auf einen Innenhof, wo gerade ein vermutlich männliches Wesen vorbeihuscht. Das lässt mir keine Ruhe trotz Putter. Ich schaue mich draussen etwas um und entdecke Zimmer an einem Gang, die Aussenfenster haben. So eines will ich. Also nichts wie runter und Zimmer tauschen. Es klappt sogar ganz einfach, obwohl der Receptionist etwas schmierig wirkt und durchaus ein Voyeur sein könnte. Aber vielleicht sehe ich auch nur Gespenster. Nach einigem Angewöhnen dusche ich und fühle mich dann wieder viel besser. Aber ob ich hier 2 Nächte bleibe, weiss ich noch nicht. Nehme noch die Pflaster ab und stelle fest, dass die Fersenwunde ziemlich stinkt. Vielleicht heilt sie besser, wenn sie offen ist.