Sonntag, 3. Oktober 2004

Tag 17, Von Cañaveral nach Carcaboso

Wegbeschreibung und Bilder bis Galisteo
Wegbeschreibung und Bilder ab Galisteo

Ich stehe wie sonst auf und hole Putter für einen Spaziergang in der Morgendämmerung. Wir laufen die Calle Calvario hinauf und lassen die Häuser hinter uns . Dann drehe ich mich um und habe eine fantastische Aussicht nach Süden über den Weg, den ich gestern zurückgelegt habe. Am Horizont schimmern noch die Lichter von Cáceres, die von Minute zu Minute blasser werden und mit dem beginnenden Tag ganz verschwinden. In einer Gasse begegne ich wieder José-Luis und Anna, die gerade das Refugio verlassen und eine Frühstücksbar suchen. Ich empfehle ihnen das Hostal Malaga, das ja schon seit 6 Uhr offen hat. Irgendwie wirken heute morgen alle freundlicher als gestern, sogar die mürrische Dicke hat heute morgen ein Lächeln für mich. Ich nehme gemütlich ein spanisches Frühstück und bestelle für 10 Uhr das Taxi nach Galisteo. Gönne mir einen ruhigen Tag und will ihn auch geniessen. Doch das ist nicht so einfach. Das Taxi kommt und der Fahrer erzählt mir Lokalgeschichten von Wildschweinen und einer Kuh, die einen Hausbesitzer aus dem WC gejagt hat und noch viel mehr, von dem ich immer nur ein paar Worte verstehe und mir den Rest selber zusammenzudichten versuche. Da ich anscheinend immer an den richtigen Stellen beifällig murmle oder mitlache, bekomme ich sogar noch unverdientermassen ein Kompliment für mein gutes Spanisch. Hochstaplerin! Putter geniesst die Fahrt auch bei mir auf dem Rücksitz. Was er jetzt schon alles erlebt hat, ein richtiger Pilgerprofi.
In Galisteo lasse ich mich vor dem Ortseingang absetzen. Möchte das Dorf zu Fuss durch die Stadtmauer betreten. Irgendwie hab ich es mir anders vorgestellt. Die Stadtmauer ist gewaltig, das Dorf dagegen winzig. Finde keinen Platz zum Schreiben und Verweilen, wie ich es mir vorgestellt hatte. Nach einem vergeblichen Versuch an einem Bancomat Nachschub zu besorgen, beschliesse ich, die 11-Uhr-Frische auszunützen und den 11km langen Spaziergang nach Carcaboso in Angriff zu nehmen. Stelle wieder mal fest, dass fixe Vorstellungen und Erwartungen nur zu Enttäuschungen führen. Doch heute ist es eine harte Lektion.
Der Camino ist einfach und leicht und doch dünkt er mich heute so schwierig wie noch nie. Ich sehe nur den Asphalt. Trotz Schatten spüre ich nur die Hitze und trotte mit meinem Schicksal hadernd völlig unmotiviert vor mich hin. Habe das Gefühl, dass sich heute alles geändert hat, das Wetter, die Landschaft, die Stimmung. Im Hinterkopf dämmert es schon, dass sich ja ständig alles verändert, nur ist es mir nicht immer so bewusst und v.a. kann ich es nicht immer mit gleicher Leichtigkeit akzeptieren. So grummle ich dahin, versuche die trüben Gedanken einfach vorbeifliessen zu lassen und mich auf die Schritte zu konzentrieren.
In Aldehuela bekomme ich in der Bar La Esquina ein Glas Wasser umsonst, aber auch das erfreut mich nicht richtig. O du schweres Schicksal, das ich auf meinem Buckel heute besonders spürbar herumschleppe. Von all diesen Gedanken komme ich völlig erschöpft in Carcaboso an und lasse mich in der Bar Ruta de la Plata nieder, wo sich auch alles scheinbar gegen mich verschworen hat. Der Fernseher läuft in unerträglicher Lautstärke, keine Tapas, dafür hält mir der Wirt ein hartgekochtes Ei hin. Irgendwann bringt er dann doch noch ein paar Oliven. Putter habe ich draussen angebunden und ihm eine Schale frisches Wasser hingestellt. Was jetzt? Zu müde zum Weitergehen, zu hässlich zum Bleiben? Da kommt plötzlich die Frau, die beim Eingang bewegungslos und ohne die Miene zu verziehen, gesessen hat, zu mir, fragt freundlich, woher ich komme und wird zu meinem Rettungsengel. Sie führt mich aus der Bar heraus in ihre Pension, zeigt mir Dusche und Waschgelegenheit und macht mich mit Andrea, einem Pilger aus Barcelona bekannt. Und so nimmt alles wieder einen positiven Verlauf. Erstmal Duschen und Kleider waschen. Dann meldet sich auch der Hunger und die Lust zum Essen wieder. Gehe doch ins Restaurant statt mit Señora Helena und ihrem Sohn Suppe zu essen. Auch ein funktionierender Geldautomat ist unterwegs zu finden. Und im Restaurant Las Golondrinas leiste ich Andrea Gesellschaft und wir unterhalten uns wieder mal auf Englisch. Ein bisschen mehr als nur wohin und woher. Das Essen ist superlecker, zuerst Spargeln mit Salat und dann Paella und zum Dessert hausgemachte Mousse de Cafe, alles für 8 Euro, dazu noch eine gute Portion Reste für Putter. Und dann Siesta. So wird aus dem Krisentag doch noch einigermassen ein Genusstag, der nur durch das Wölkchen der morgigen Etappenbeschreibung noch getrübt ist. 40km stehen mir da bevor mit Mauern überklettern und Flussdurchquerungen und wenigen Wegmarkierungen. Doch Achtung, muss aufpassen, dass das Wölkchen Wölkchen bleibt und nicht zum vernichtenden Orkan wird. Vertrauen haben und einfach Schritt für Schritt weitergehen! Im Moment leicht gesagt und gedacht!
Abends gehe ich nochmal mit Putter spazieren. Der Sohn von Helena gibt mir den Schlüssel zur Garage nur widerwillig und sagt mir 2mal, ich soll gut abschliessen. (Er traut mir nicht. Oft erwarte ich, dass die Leute mir ganz selbstverständlich vertrauen so wie ich ihnen vertraue.) Danach ziehe ich etwas verloren durch das Städtchen auf der Suche nach einem schönen Platz zum Essen. Gerade als ich alles abgeklappert habe und dabei auch auf eine Bar mit vielen Computern gestossen bin, die jetzt leider alle von spielenden Teenagern besetzt sind, da tauchen wieder José-Luis und Anna auf. Und auch Jordi ist wieder da. Wir gehen alle zusammen ins Las Golondrinas, wo etwas später auch noch Andrea auftaucht. Um mich herum rattert die Unterhaltung in spanischem Staccato. Eine Weile versuche ich mich darauf zu konzentrieren, doch dann gebe ich es auf und widme mich lieber dem Essen. Salat und eine wunderbar stärkende Sopa de Jamon, in der viele Fideli schwimmen. Und zum Dessert, heisst hier Postre nicht Sobremesa, noch ein Flan mit Schlagsahne. Wunderbar. Kann morgen ja nichts mehr schief gehen.