Donnerstag, 28. Oktober 2004

Tag 42, Von Puente Ulla nach Santiago

Wegbeschreibung und Bilder

Ich erwache schon vor 3 Uhr mit einem Schweissausbruch. Danach schlafe ich nur noch in Etappen. Um 8.30 Uhr stehe ich auf. Es ist noch dunkel und regnet in Strömen. Die Lastwagen auf der Brücke wirbeln Gischtfahnen hinter sich her. Unter dem Schirm mache ich mit Putter einen Morgenspaziergang. Dann setze ich mich zum Kaffee in die Beiz und warte auf eine Regenpause. Hadere ein bisschen mit mir, dass ich das trockene Wetter von gestern nicht ausgenützt habe. Stelle mir vor, wie ich wieder durch und durch nass werde und so triefend in Santiago ankomme. Dann ist die Regenpause da. Der Himmel licht und die Wirtin winkt mir aufmunternd zu. Nichts wie los. Das erste Stück kenne ich schon von gestern. Dann geht es über die N525 und rechts eine kleine Asphaltstrasse hoch. Guter Belag bei Regen. Lässt das Wasser schnell ablaufen. Etwa 1 Stunde hält der Himmel dicht, dann fängt es an zu tropfen und dann zu giessen. Da taucht rechts doch tatsächlich nochmal eine neue Albergue auf mit einem Vordach, das mir wunderbaren Unterschlupf bietet. Einen Moment überlege ich, ob ich den Schlüssel holen soll. Alles fühlt sich nass und kalt an. Doch wenn ich mich jetzt ausziehe, dann dauert es Stunden, bis ich wieder in die Kleider kann. So entscheide ich mich für aushalten und abwarten, bis sich die Wolke ausgeregnet hat. Dauert nicht mal lange und dann zeigt sich sogar blauer Himmel.
Muss mich zusammennehmen um nicht verkrampft loszupreschen, sondern das lockere Gehen beizubehalten. Wie ein Wunder bleibt der Himmel über mir blau und die Wolkenberge scheinen von einer unsichtbaren Kraft aufgehalten. Erst 5km vor Santiago holt mich nochmal eine graue Regenwolke ein. Doch gerade als sie ihre Last fallen lässt, taucht rechts ein Crucero auf und eine kleine Kapelle. Aber ohne Vordach. Denke noch, die hätten besser an den Regenschutz der Pilger gedacht statt immer wieder das Leiden Jesu an Cruceros festzunageln. Doch neben der Ermita steht ein dicker, alter Baum, der sich mir als Regen- und Windschutz anbietet. Für mich ein Zeichen, dass Mutter Natur für mich besser sorgt als die Katholiken mit ihrem Glauben. Und so löst sich auch die Frage, welche Bedeutung ich den Ritualen von Santiago geben soll. Werde sie mir kritisch und ohne Erwartungen ansehen und mitmachen. Einmal steigen Tränen auf aus tiefer Freude, diesen Weg zu gehen, gegangen zu sein.
Über den Camino Real, wo ich nochmal von Stein zu Stein meine Schritte achtsam setze, geht es ohne lange Anlaufzeit direkt ins Zentrum von Santiago. Von weitem schon habe ich die Türme der Kathedrale entdeckt. Aber jetzt mittendrin fühle ich mich verloren und ohne Orientierungspunkt. Ich frage mich durch. Die Kathedrale ist wieder so ein montröses Bauwerk, das in mir keine Begeisterung, sondern nur kritische Fragen aufwirft. Im Pilgerbüro erhalte ich dann die Compostela und einen Stadtplan. Und dann belohne ich mich erstmal mit Gnocchi al noci. Lecker. Überhaupt scheint auch diese Stadt wieder ein Schlaraffenland zu sein.