Sonntag, 26. September 2004

Tag 10, Von Villafranca nach Mérida

Wegbeschreibung und Bilder (bis Almendralejos)
Wegbeschreibung und Bilder (ab Almendralejos im Zug)
Wir brechen schon um 7.30 Uhr auf. Ein kleiner Spanier mit Motorradhelm öffnet mir die Tür und wünscht mir gute Reise. Das dröhnende Nachtleben ist vorbei und alles ist wieder ruhig und morgenfrisch. Heute fühle ich mich in den Wanderschuhen wie in Finken. Kein Schmerz mehr da. Die 2. Compeed-Haut hält was die Produkt Manager von Johnson + Johnson versprechen. 2 Frauen geben mir den letzten Tip, wie ich aus der Stadt rauskomme und dann öffnet sich alles wieder in herrliche Weite. Erstmal durchatmen. Ich laufe auf Traktorpisten endlos geradeaus zwischen Rebfeldern, die mir ein leckeres Frühstück spenden. Die Traubenernte ist in vollem Gang und überall sind Gruppen am Pflücken. Die weissen Trauben wachsen direkt am Stock und die Pflücker stellen einen Plastikeimer darunter und zupfen die Traubendolden ab und lassen sie in den Eimer fallen. In unglaublicher Geschwindigkeit. Ich sehe nicht genau, ob sie ein anderes Werkzeug als die Hände benutzen. Ich komme gut vorwärts in der kühlen Morgenluft. Bei einer Brücke mache ich kurze Pause und esse meinen Apfel. Habe noch nicht entschieden, ob heute nach Almendralejos oder Torremejia. Da kommt ein Velofahrer, hält an, grüsst mich und rät mir nach Almendralejos zu gehen, das sei grösser und interessanter. Nun also, schon entschieden. An der Abzweigung folge ich meiner Beschreibung und laufe voll verkehrt. Lerne, dass Beschreibungen nicht zu trauen ist. Doch auch da ist schon ein Helfer bereit, der mich wieder in die richtige Richtung weist und das mit einem strahlenden Lachen.
Noch 3 km Asphalt und dann sehe ich, wo all die Trauben landen, in riesigen Edelstahltanks. Am Stadtrand hausen einige Zigeuner, die wahrscheinlich bei der Ernte helfen. Ich laufe durch die Calle San Antonio vorbei am Hotel España direkt auf die Kirche zu. In der Nähe ist auch gleich die Policia Local, die meine Urkunde stempelt und mir ein Hotel in der Nähe weist. Doch schon als ich eintrete, weiss ich, dass Putter hier nicht willkommen ist. Wir versuchen es noch beim Hotel España. Der rote Teppich ist ausgerollt und vor einer 2-flügeligen Glastür sitzen rechts und links 2 Steinbulldoggen, die so echt aussehen, dass Putter sie erstmal ausgiebig beschnuppert. Hier müssten ja dann Hunde willkommen sein. Wir treten ein und stehen gleich vor dem Receptionstischchen, hinter dem ein älterer, nicht unsympathischer Mann sitzt. Ich sage den Satz, den ich mir zurechtgelegt habe: hay una habitacion para dos peregrinos? Er sagt etwas auf spanisch, das ich als "wenn es nur das ist" interpretiere und mich schon freue. Doch leider ein Missverständnis. Er wiederholt nochmal und diesmal verstehe ich, dass alles voll ist. Ich denke, er will uns abwimmeln und weise auf die Schlüssel hin, die alle an ihren Haken hängen. Doch auch dafür gibt es eine Erklärung, das ganze Hotel ist von einer Hochzeitsgesellschaft gebucht. Ok, dann erstmal pinkeln und was essen.
Im Meson Zara gibt es Ensalada Mixta und Calamares a la Romana, die auch Putter schmecken. Sehe eine Weile dem Treiben einer jungen Familie mit Freunden zu, die Bier trinken und rauchen und dazwischen dem ca. 2-jährigen Jungen immer wieder einen Ball fortwerfen und dazu laut "mira, mira" schreien. Als Ball und Junge zu nahe kommen, weist sie Putter mit einem unwilligen Knurren zurecht. Er hat ein ausgezeichnetes Gespür für unberechenbare Situationen und mag es nicht, wenn man seine Ruhe stört.
Ein anderes Hotel ist nicht in Sicht, dafür der Bahnhof, der einen wunderbar blau gekachelten, leeren Wartesaal hat, in dem ich es mir gemütlich mache bis um 20.41 der Zug nach Merida fährt. Mal schauen, ob wir mitkommen. Der nette Bahnangestellte, der einige Male durch die Halle läuft, weist mich zwar darauf hin, dass Hunde nur bis 6kg Gewicht erlaubt sind, gibt mir aber auch zu verstehen, dass er nicht unbedingt sieht, dass Putter einsteigt. Wenigstens interpretiere ich das so.
Als ich mal den Wartesaal mit Putter verlasse, setzt sich draussen gerade ein alter Mann auf eine der 3 Steinbänke. Ich setze mich auch und er bietet mir einen Karton als Kissen auf dem harten Beton an. Ich lehne dankend ab mit der Erklärung, dass ich den Beton erfrischend kühl finde, worauf er meint, es sei nicht wegen der Kühle, sondern wegen der Weichheit, worauf ich erwidere, dass mein Hintern weich genug sei. So fängt unsere Unterhaltung an und zieht sich mit einfachen Fragen und Antworten durch den Nachmittag. Er weist mich noch daraufhin, dass es gefährlich sei, das Gepäck einfach so liegenzulassen, worauf ich es ihm zuliebe hole. Dann will er auch noch wissen, ob ich männlich oder weiblich sei, was mich ziemlich heiter stimmt. Wohl beides in immer wieder neuen Mischungen. Aus der benachbarten Cafeteria tönt lautes, aggressives Spanisch, alkoholangeheizt. Gegen 17 Uhr klingt der Lärm ab, die Cafeteria schliesst und mit ihr auch die Bahnhofstoilette, in der ich mich noch waschen wollte. Pech gehabt. Gepinkelt wird hinter dem Haus. Um 18 Uhr gibt es wieder Betrieb. Der Stationschef kommt wieder mit seinem lustigen Hund Typ Lexa und Rinaldo. Er zieht sich die rote Mütze an, nimmt die rote Fahne unter den Arm und stellt die Weichen Modell 1920 von Hand durch Umlegen zweier Hebel, die vorher schon von 3 Männern fotografiert worden waren. Der Zug von Merida fährt ein. Ein- und Aussteigen. Abfahren. Dann erstirbt der Bahnhof wieder in seinen Dornröschenschlaf. Plötzlich kommt der Stationschef mit seinem Hund auf uns zu und lässt ihn laufen. Mit stockt der Atem. Denn schon vorher haben sich Putter und Ruz fast in die Haare gekriegt, zumindest hat Putter auf die Spielvorschläge von Ruz mit Knurren geantwortet. Ich versuche ruhig zu bleiben und meine Ruhe auf Putter zu übertragen. Und dann erhalte ich eine Lektion in Hundeerziehung. Ruz gehorcht seinem Herrn auf's Wort und Putter bleibt einigermassen ruhig, sodass es nicht zu einer Schlägerei zwischen den etwa gleich grossen Rüden kommt. Vielleicht auch weil Ruz erst 2-jährig ist. Ich finde es total mutig, dass der Stationschef gewagt hat, seinen Hund in dieser Situation loszulassen und sage ihm das auch. Später, als ich bei ihm das Ticket nach Merida kaufe, wünscht er mir viel Glück, dass ich es mit Putter auf den Zug schaffe. Ich schenke ihm dafür die Rose von Johannes als Glücksbringer. Aber er ist anscheinend wie ich ein Glückskind und sagt, dass er sie seiner Frau geben wird, der das Glück fehlt. Dabei hat sie einen echt guten Typen als Mann. Der alte Mann bietet mir ein Zitronenbonbon an und ich nehme es trotz der letzten schlechten Erfahrung und der Erinnerung an die mütterlichen Warnungen, nichts von fremden Männern anzunehmen. Und für einen Moment tauchen auch ähnliche Befürchtungen auf, als der Bahnhof wieder menschenleer wird bis auf uns zwei. Doch als sich der alte Mann herzlich von mir verabschiedet, mir viel Glück wünscht und noch 2 Küsse auf die Wangen drückt, bereue ich diese Gedanken.
Nach 18 Uhr öffnet die Cafeteria wieder und ich kann mich doch noch erfrischen und mich Merida-fein machen. Im Meson Zara, wo ich zu Mittag gegessen habe, organisiere ich noch Küchenreste für Putter, da wir erst spät ankommen werden und ich dann nicht noch auf Futtersuche will. Eine schöne Portion Knochen mit etwas Fleisch dran, die Putter genüsslich verzehrt. In mir steigt langsam Unruhe auf, werden wir es auf den Zug schaffen, wenn nicht, was dann? Und was kommt nach Merida? Wie werden wir die beiden mehr als 30km langen Tagesetappen durch von Mastines bewachte Schafherden meistern? Immer wieder sage ich mir "Schritt für Schritt" und beruhige mich damit ein wenig. Doch leicht fällt es mir im Moment nicht. Dann endlich ist der Zug da. Ich gehe zur Tür am letzten Wagen, wo einige junge Männer stehen. Ich steige die 3 steilen Tritte hinauf und versuche dann Putter, der ängstlich zögernd draussen bleibt, zu locken. Die Schar junger Männer fängt an, Putter zu foppen, indem sie ihn Cabra nennen. Das lässt er sich nicht 2mal sagen und klettert wie eine Ziege zu mir hoch. Wow, wir sind drin und der Zug fährt mit uns ab. Unglaublich. Ich setze mich in einen leeren 2er-Sitz und Putter legt sich zusammengerollt auf den Boden. Da kommt auch schon der Kondukteur und staunt ein wenig. Doch er akzeptiert uns und setzt sich bald dazu, indem er die vorderen Sitzlehnen umklappt und aus unserem 2er-Abteil ein 4er-Abteil macht. Er heisst Luis und kommt aus Sevilla. Der 3.sympathische und hilfsbereite Mann an einem Tag. Er erklärt mir noch, wie ich vom Bahnhof in die Stadt komme und wo es eine Pension haben könnte. Putter fährt zum ersten Mal Zug und macht das wie ein Profi. Wirklich erstaunlich. In Merida kriegt Putter wieder Cabra zu hören und steigt souverän aus. Dann geht es auf Hotelsuche. Ich lande im Hostal Salud im grössten Loch meines Lebens für 30 Euro. Als ich den Rolladen hochziehe, erschrecke ich erstmal. Das Fenster öffnet sich auf einen Innenhof, wo gerade ein vermutlich männliches Wesen vorbeihuscht. Das lässt mir keine Ruhe trotz Putter. Ich schaue mich draussen etwas um und entdecke Zimmer an einem Gang, die Aussenfenster haben. So eines will ich. Also nichts wie runter und Zimmer tauschen. Es klappt sogar ganz einfach, obwohl der Receptionist etwas schmierig wirkt und durchaus ein Voyeur sein könnte. Aber vielleicht sehe ich auch nur Gespenster. Nach einigem Angewöhnen dusche ich und fühle mich dann wieder viel besser. Aber ob ich hier 2 Nächte bleibe, weiss ich noch nicht. Nehme noch die Pflaster ab und stelle fest, dass die Fersenwunde ziemlich stinkt. Vielleicht heilt sie besser, wenn sie offen ist.