Freitag, 29. Oktober 2004

Souvenirs

Pilgerurkunde

im Blubberbad in Baños de Montemayor

Rückseite des Credencial dos Peregrinos mit Stempeln

Donnerstag, 28. Oktober 2004

Tag 42, Von Puente Ulla nach Santiago

Wegbeschreibung und Bilder

Ich erwache schon vor 3 Uhr mit einem Schweissausbruch. Danach schlafe ich nur noch in Etappen. Um 8.30 Uhr stehe ich auf. Es ist noch dunkel und regnet in Strömen. Die Lastwagen auf der Brücke wirbeln Gischtfahnen hinter sich her. Unter dem Schirm mache ich mit Putter einen Morgenspaziergang. Dann setze ich mich zum Kaffee in die Beiz und warte auf eine Regenpause. Hadere ein bisschen mit mir, dass ich das trockene Wetter von gestern nicht ausgenützt habe. Stelle mir vor, wie ich wieder durch und durch nass werde und so triefend in Santiago ankomme. Dann ist die Regenpause da. Der Himmel licht und die Wirtin winkt mir aufmunternd zu. Nichts wie los. Das erste Stück kenne ich schon von gestern. Dann geht es über die N525 und rechts eine kleine Asphaltstrasse hoch. Guter Belag bei Regen. Lässt das Wasser schnell ablaufen. Etwa 1 Stunde hält der Himmel dicht, dann fängt es an zu tropfen und dann zu giessen. Da taucht rechts doch tatsächlich nochmal eine neue Albergue auf mit einem Vordach, das mir wunderbaren Unterschlupf bietet. Einen Moment überlege ich, ob ich den Schlüssel holen soll. Alles fühlt sich nass und kalt an. Doch wenn ich mich jetzt ausziehe, dann dauert es Stunden, bis ich wieder in die Kleider kann. So entscheide ich mich für aushalten und abwarten, bis sich die Wolke ausgeregnet hat. Dauert nicht mal lange und dann zeigt sich sogar blauer Himmel.
Muss mich zusammennehmen um nicht verkrampft loszupreschen, sondern das lockere Gehen beizubehalten. Wie ein Wunder bleibt der Himmel über mir blau und die Wolkenberge scheinen von einer unsichtbaren Kraft aufgehalten. Erst 5km vor Santiago holt mich nochmal eine graue Regenwolke ein. Doch gerade als sie ihre Last fallen lässt, taucht rechts ein Crucero auf und eine kleine Kapelle. Aber ohne Vordach. Denke noch, die hätten besser an den Regenschutz der Pilger gedacht statt immer wieder das Leiden Jesu an Cruceros festzunageln. Doch neben der Ermita steht ein dicker, alter Baum, der sich mir als Regen- und Windschutz anbietet. Für mich ein Zeichen, dass Mutter Natur für mich besser sorgt als die Katholiken mit ihrem Glauben. Und so löst sich auch die Frage, welche Bedeutung ich den Ritualen von Santiago geben soll. Werde sie mir kritisch und ohne Erwartungen ansehen und mitmachen. Einmal steigen Tränen auf aus tiefer Freude, diesen Weg zu gehen, gegangen zu sein.
Über den Camino Real, wo ich nochmal von Stein zu Stein meine Schritte achtsam setze, geht es ohne lange Anlaufzeit direkt ins Zentrum von Santiago. Von weitem schon habe ich die Türme der Kathedrale entdeckt. Aber jetzt mittendrin fühle ich mich verloren und ohne Orientierungspunkt. Ich frage mich durch. Die Kathedrale ist wieder so ein montröses Bauwerk, das in mir keine Begeisterung, sondern nur kritische Fragen aufwirft. Im Pilgerbüro erhalte ich dann die Compostela und einen Stadtplan. Und dann belohne ich mich erstmal mit Gnocchi al noci. Lecker. Überhaupt scheint auch diese Stadt wieder ein Schlaraffenland zu sein.

Mittwoch, 27. Oktober 2004

Tag 41, Von Bandeira nach Puente Ulla

Wegbeschreibung und Bilder

Nach der stürmischen Nacht ist der Morgen windstill und ohne Regen. Mit Kaffee und Croissant im Bauch geht es los über nasse Asphaltsträsschen. Immer wieder lacht die Sonne herunter. Und Westwind weht mir um die Nase, verheissungsvoll lockend. Irgendwann verliere ich den Weg und lande auf der N525. Ich biege wieder rechts in den Wald ein und sofort verdüstert sich alles. Doch an der nächsten Weggabelung leuchtet schon von weitem die Jakobsmuschel. Beim Santuario de Gundian mache ich eine Pause, trinke von der Quelle und schaue auf die imposante Eisenbahnbrücke, die die Schlucht der Ulla überspannt. Schöner, ruhiger Platz. Dann breche ich wieder auf. Komme über eine Brücke nach Ponte Ulla. Gleich rechts nach der Brücke verlockt mich das Restaurante Rios mit schön gedeckten Tischen. Doch im Führer steht etwas von einem wunderbaren Hostal, das ich mir in den Kopf gesetzt habe. Eine längere Suche beginnt. Über eine Stunde irre ich umher. Torschlusspanik! Schliesslich kehre ich um und lande im Restaurante Rios bei einer netten Wirtin. Das Menu del dia besteht aus Favada, einer üppigen Bohnensuppe, und Bacalhão mit Kartoffeln und Erbsen. Zum Dessert hausgemachten Arroz con Leite mit Zimt. Dann weiss ich nicht so recht und frage mal nach Habitaciones. Natürlich hat es und Putter darf auch mit. So mache ich erstmal Siesta nach dem üppigen Mahl.
Danach macht mich die Dusche wieder munter und die Neugier zieht mich hinaus. Doch da treibt mich der Regen wieder zurück. So setze ich mich auf's Bett, beobachte die Wolken und lasse mit ihnen die Erinnerungen vorbeiziehen. Tränen steigen auf. Was ist mir wichtig geworden? Meine Ängste überwinden zu können und mein Herz den Menschen ein bisschen mehr zu öffnen, überhaupt mein Herz zu spüren und auf seine feine Stimme zu hören.
Abends geniesse ich nochmal Käse, Brot, Membrillo und Wein. Und friere danach auch nicht mehr. Morgen geht es nach Santiago.

Dienstag, 26. Oktober 2004

Tag 40, Von Estacion Lalin nach Bandeira

Wegbeschreibung und Bilder bis Silleda
Wegbeschreibung und Bilder ab Silleda

Morgens um halb neun ist noch alles still. Doch der Schlüssel steckt und so drehe ich mit Putter eine Runde in den kalten, aber freundlichen Morgen hinein. Kaffee und 2 Cookies in der Taberna do Vento und dann noch ein Früchteteller bei meiner Wirtin. So gestärkt geht es gutgelaunt unaufhaltsam Richtung Santiago. Die Wege sind immer noch schlamm- und regengepfützt. Wunderschöne Römerbrücke über den Rio Deza und herrlich urchige, moosige und flechtenbehangene Eichen- und Kastanienwälder. Nebelschwaden steigen auf und verflüchtigen sich mit der Zeit wieder.
2km vor Silleda raste ich bei einem Kirchlein mit Crozeiro und esse meinen Apfel, als eine Frau auftaucht. Wir kommen über das übliche Vorgeplänkel ins Gespräch. Als ich den Verkehr und den Lärm erwähne und frage, ob sie gut schlafen kann, kommt sie plötzlich auf ihre Nerven zu sprechen. Tränen treten in ihre Augen und sie erzählt mir die traurige Geschichte ihres Lebens. Dass ihr Mann ihr Hörner aufgesetzt hat und nicht arbeiten will. Dass sie nur im Haus bleibt wegen ihrer Schwiegermutter, um sie zu pflegen. Und viele Details, die ich nicht ganz verstehe und auch nicht unbedingt verstehen will. Ich umarme sie, um ihr ein bisschen Trost und Liebe zu geben. Dann ziehe ich weiter und sie lässt ihre Schafe auf die Weide. Danach denke ich, wie verrückt, dass sie die Mutter pflegt, die diesen tollen Sohn aufgezogen hat. Und warum mir die Frauen hier immer wieder von der Untreue ihrer Männer erzählen. Das scheint einfach die Natur der Männer zu sein. Und es ist mein Problem, wenn ich mich dadurch betrogen fühle. Jeder sollte doch seine Natur leben können.
Auch die vielen Kirchen hier und die Cruceros beschäftigen mich und die eingesperrten Heiligen am Weg, denen man zwar manchmal Blumen und Kerzen hinstellt, die aber sonst ein ziemlich tristes Dasein führen. Irgendwie schwer und ohne Freude. Unendliches Leiden.
Silleda macht mich gar nicht an zum Rasten, obwohl es hier alles geben soll. Laufe durch. Von einem fahrenden Bäcker kaufe ich noch ein Stück Brot, falls gar kein Restaurant mehr auftaucht. Ein Schild mit der Aufschrift Albergue dos Peregrinos lockt mich vom direkten Camino weg. Doch eine Albergue kommt nicht in Sicht. Dafür sehe ich ein Stück vor mir 2 Peregrinos, die sich auf der Hauptstrasse zur nächsten Siedlung schleppen. Ich folge ihnen und treffe so wieder auf Manolo, der sich jedesmal um Futter für Putter bemüht, und Carlos, der ziemlich hinkt. Wir landen im gleichen Restaurant und essen zusammen. Dank der Ermunterung von Ruth gelingt es mir auch, dem Schnell- und Vielredner Manolo gegenüber offen zu bleiben ohne mich gleich ängstlich in mein Schneckenhaus zurückzuziehen. Und siehe da, er passt sich meinem langsameren Verstehen und Reden etwas an, indem er einfach alles 2- bis 3mal wiederholt. Ganz unverdrossen und fröhlich. Am Schluss spendiert er mir auch noch einen Schnaps. Danach mag ich nicht mehr weiterlaufen und buche gleich ein Zimmer für 15 Euro. Gegen das gestrige ein wunderbar freundlicher, trockener, sauberer Ort. Sogar Putter darf wieder mal auf's Zimmer, nachdem ich versichere, dass er sauber ist und nicht bellt. Er braucht auch eine Pause. Hat heute ein paarmal auf der Hinterpfote gehinkt. Nach einer grossen Büchse Futter und Resten vom Mittagessen, die Manolo gesammelt hat, und einem Spaziergang bringe ich ihn ins Zimmer an seinen Schlafplatz. Er legt sich gleich auf die Matte und rollt sich zusammen. Wie ausdauernd, treu und heldenhaft er sich doch hält. Sovieles kann ich von ihm lernen. Ein Buch aus seiner Sicht?
Während ich das schreibe, sitze ich im Hotel Victorino in Bandeira bei einem Glas Wein. Joe ist jetzt bei Margot zum Nachtessen. Ein Stück näher. Solange habe ich seine Stimme nicht mehr gehört. Warum nicht mal anrufen? Wunderbar! Ich esse noch ein bisschen Käse, Brot und trinke Wein und gehe dann auch schlafen. Draussen stürmt es gewaltig.

Montag, 25. Oktober 2004

Tag 39, Von Cea nach Estacion Lalin

Wegbeschreibung und Bilder bis Castro Dozon
Wegbeschreibung und Bilder ab Castro Dozon

Am Morgen geht es bei vielversprechendem Himmel erstmal zum Kloster Oseira, das mächtig und düster in einem einsamen Tal liegt. Ich fühle mich schwer und so verzichte ich auf eine Besichtigung und laufe nach einem Kaffee weiter. Wanderung durch erdige Pfade mit grossen Wasser- und Schlammpfützen. Aussicht über grüne Hügel. Dörfchen mit kuhmist-gepflasterten Gassen. Begegnungen mit Kühen und Schafen und Hunden. Kastanienernte ist im Gang. In Dozon treffe ich die Brasilianer wieder. Sie schauen schnell in die Bar, wo ich ein Chorizo-Bocadillo verdrücke. Nachher suche ich in ihrer Bar Zuflucht vor einem Regenguss, den eine riesige, graue Wolke herbeischleppt. Wir spielen eine Runde Domino mit spanischen Karten. Julio gewinnt: Campeon!
In Lalin trennen sich dann unsere Wege. Zuerst laufe ich alleine Richtung A Laxe los. Kehre dann aber beim Anblick weiterer dichter Regenwolken um und suche und finde eine Unterkunft in Estacion Lalin bei einer sympathischen, französisch sprechenden Wirtin. Putter bekommt gleich eine Portion Cozido und darf dann in einem Auto übernachten. Ich probiere auch vom Cozido trotz Kutteln. Schmeckt nicht schlecht. Dann noch ein Salat, Lomo mit Pommes und die vom Grossvater frisch geschnittenen Trauben zum Dessert. Und jetzt noch ein bisschen schreiben. Bin heute in Gedanken oft bei Joe. Und bei meinem Aussehen. Soll ich mich in Santiago für ihn verweiblichen?
Das Zimmer ist ein ziemliches Loch. Gute Pilgerübung. Kalt und feucht, doch mit genügend Wolldecken, die mich in der Nacht wärmen.

Sonntag, 24. Oktober 2004

Tag 38, Von Ourense nach Cea

Wegbeschreibung und Bilder

Gemeinsames Frühstück in einer angenehmen Bar mit viel Frühstücksauswahl: zuerst Churros, dann Empanadilla de Atun. Die Brasilianer sind auch da und Rinivaldo schenkt Ruth das Buch "Walden". Putter bellt alle ein bisschen an. Dann durchwandern wir die sonntäglich-ruhige Stadt Richtung Bahnhof, wo wir uns verabschieden.
Allein geht es weiter durch idyllische Dörfchen am Ufer des Rio Miño bis es rechts steil das Ufer hinauf geht nach Castro da Beiro. Bin ziemlich nassgeschwitzt. Oben hält ein netter Beamter der Proteccion Civil und erklärt mir den Weg und dass ich unbedingt anrufen soll, wenn ich Probleme habe. Ohne Handy ist das schwierig. Zudem kann ich mittlerweile ganz gut auf mich selber aufpassen und mir helfen. Nach einem Bier mache ich mich regenfest und laufe dann weiter.
Als nächstes begegne ich einem netten Pilzsammler, der mir rät im Kloster Oseira zu schlafen. Mal sehen. Dann werde ich wieder mal begossen und komme nass aber bei Sonnenschein in Cea an. Kaufe ein Pan de Cea und Chorizos und sitze ein bisschen auf der Praza Maior in der Sonne und spiele mit den nackten Zehen. In der Herberge, die in einem alten Steinhaus eingebaut wurde, kommt der Hospitalero und bringt uns - die Brasilianer sind auch eingetroffen - frischgepflückte Pilze und dann noch frische Eier aus einem nahen Hühnerstall. Wir legen unsere Vorräte zusammen und kochen ein fantastisches Pilgermahl. Schweiz-brasilianisches Teamwork und das in Spanien! Während die 2 Chicos dann Marihuana rauchen, mache ich mich über die Schokolade her. Lustiger Abend mit vielen Geschichten und den üblichen Pilgerfragen und -antworten. Ich geniesse es, wieder mal Abzuwaschen und die Küche aufzuräumen. Dann ist bald Ruhe. Die Brasilianer schnarchen nicht. Ich erwache wieder wie schon in den Nächten vorher mit einem Schweissausbruch. Zu viel und zu spät gegessen? Oder zuviel Wein? Mein Körper ist nicht mehr so im Gleichgewicht wie in den ersten Wochen und ich habe das Gefühl, wieder mal alles durchputzen zu müssen.

Samstag, 23. Oktober 2004

Tag 37, In Ourense

Erstmal frühstücken, da es um 8 Uhr noch dunkel ist. Café San Fernando. Wunderbares Croissant. Dann hütet Ruth die Rucksäcke und ich gehe mit Putter spazieren und das Internet-Café suchen. Danach hüte ich die Rucksäcke im Internet-Café und Ruth geht spazieren. Dann suchen wir in der Av. Buenos Aires eine Pension. In der 2. werden wir fündig für 25 Euro. Dann geht's zum Baden. Mit der "censilla" Bar, Bier und Pinchos klappt es erst beim Thermalbad. Herrliches Entspannen bei Sonnenschein. Danach möchte ich allein sein und ich merke, wie die Spannung zwischen Ruth und mir steigt. Ziehe mich dann zu Putter zurück. In der Albergue treffen wir uns wieder. Gespräche, denen ich zuhöre, obwohl ich lieber gehen würde. Ruth ist mit dem Hospitalero im Element und einig. Ich verziehe mich zum Internet. Die empfohlene Bar finde ich nicht, worüber ich auch nicht unglücklich bin. Irgendwo trinke ich noch einen Wein und probiere Empanadas und Empanadillas. Bin ziemlich müde und es zieht mich ins Bett. Warten auf Ruth. Bin froh als sie kommt. Sie spricht unseren Problempunkt gleich an. Mutig. So möchte ich das auch mal können. Und sagt mir noch ein paar andere Gedanken, die ihr durch den Kopf gegangen sind bezüglich Liebe und Beziehung. Nach bereinigter Atmosphäre schlafe ich wunderbar.