Mittwoch, 22. September 2004

Tag 6, Von El Real de la Jara über Monasterio nach Fuente de Cantos

Wegbeschreibung und Bilder
Nach einer Nacht mit Bauchkrämpfen stehe ich früh um 6.50 Uhr auf und breche noch in der Dunkelheit auf. Der Weg ist diesmal leicht zu finden und ich wandere zwischen eingezäunten Weiden allein dahin. Das Muhen und Mähen und die neugierigen Blicke und gespitzten Ohren von Kühen und Schafen begleitet mich. Manchmal klingt von fern das Schreien von einer Tierfarm herüber. Die Schreie klingen nicht glücklich. Sind es Hilferufe? Inspiriert von dem Grazer Pilgerpaar und abgeschreckt vom Lärm der Lastwagen auf der N630 bestelle ich mir in der Tienda Culebrin ein Taxi nach Monasterio. Erstaunlicherweise geht das sogar mit Putter. Ein neues Auto mit frisch rasiertem und gekämmtem Fahrer erscheint. Ich setze mich auf die Wolldecke auf dem Rücksitz und Putter nimmt auf dem Plastik im Fussraum Platz. Wow, welch ein Luxus so über die vielbefahrene Landstrasse gefahren zu werden. Und das für nur 8 Euro für 8 km. Ich lasse mich direkt vor der Post absetzen. Zeit, Ballast abzuwerfen. Ich kaufe eine Caja verde und verstaue darin 1 Hose, 1 T-Shirt, das Deo, 6 Wäscheklammern, die Sonnenbrille, die Strandschuhe, meine Agenda, das Spanisch-Lehrbuch und die Template Times, total 2,2 kg. Das kostet mich das Vermögen von 20 Euro. Auch die ersten Tagebuchnotizen stecke ich in ein Kouvert und sende sie an mich. Dazu hat mich Inge mit ihrer Buchleseart inspiriert. Sie reisst die gelesenen Seiten heraus und weg. Es ist schon drückend heiss und ich stärke mich mit einem Orangensaft und einem Bocadillo de Jamon in der gegenüberliegenden Bar. Mein Badetuch schneide ich mit der Nagelschere auseinander. Ein Viertel davon genügt auch. In meiner Naivität hatte ich mir vorgestellt, ab und zu in einem Fluss oder See baden zu können. Aber alle Gewässer waren bisher ausgetrocknet oder verschmutzt von Dünger und Chemikalien, sodass nicht mal Putter trotz Hitze das Wasser saufen wollte. Gestärkt und erleichtert geht es dann auf die nächste Etappe, die zur Hitze- und Durchhalteprobe wird. Bei den 2 schönen Eichen mache ich Rast und gönne meinen Füssen ein bisschen frische Luft. Mindestens 4 Stunden Wanderung liegen heute noch vor mir. Noch eine Stunde schaffe ich es in der Hitze, bevor ich an einem schönen Platz mit Aussicht und im Schatten von Eichen ausgiebig raste und den kühleren Abend abwarten will. In der Ferne ist zum ersten Mal Fuente de Cantos zu erspähen. 2 Velopilger fahren vorbei, sonst sehe ich keine Menschenseele bis ich aufbreche. Ich esse einige Früchte, deren Schalen im Nu vertrocknen im heissen Wind. Nach 17 Uhr breche ich auf, damit ich noch vor Sonnenuntergang das Ziel erreichen kann. Unendlich zieht sich der Weg über gelbe Stoppelfelder dahin. Immer wieder mal taucht am Horizont die Silhouette von Fuente de Cantos auf, aber jedesmal liegt noch eine weitere Hügelkette zwischen uns und dem Ziel. Endlich erreichen wir den Fluss Bodion Chico. Putter bleibt gleich darin stehen und säuft ausgiebig. Ich setze mich auf einen Stein am Ufer und kühle Nacken und Arme. Die 4 Fahrradpilger, die uns vorher überholt hatten, kommen nochmal vorbei. Sie sind falsch gefahren, links statt durch den Fluss. Der Spanier aus Menorca ruft mir mit einem jungenhaften Lachen zu: "We were too fast and went wrong!" Sein Lachen weckt in mir wieder jugendliche Gefühle und setzt die Energie zum Weitergehen frei. Danke, querido!
Auf dem Weg treffe ich regelmässig auf vielversprechende Wegweiser zur Albergue von Fuente de Cantos. Und ich male mir die Albergue schon in den schönsten Farben aus. Ich spüre schon die Erfrischung der Dusche und sehe den Schlafplatz vor mir. Mache mir auch schon Sorgen, dass die Fahrradpilger die besten Plätze belegen und ich eventuell keinen Platz mehr habe. Wie überflüssig! Bei Sonnenuntergang laufe ich ins Dorf. Ich folge den Wegweisern zum Albergue und stehe alsbald vor verriegeltem Tor. Ich kann es kaum fassen, doch es ist wahr. Also zurück zur Kirche und zur Policia local, die lange Gasse hinauf. Ein Spanier unterhält sich mit dem Polizisten und ich frage die beiden nach der Albergue. Sie sagen, es sei offen und dort, wo ich gewesen war. Ganz genau verstehe ich es nicht, was sie erklären. Auf jeden Fall begleitet mich dann der eine wieder die lange Gasse hinunter zurück. Nur um festzustellen, dass die Albergue tatsächlich geschlossen ist. Ein junger Spanier in der Nähe ist so nett, die Nummer der Albergue zu wählen, aber es meldet sich nur der Telefonbeantworter. Allgemeines Schulterzucken. Also wieder die lange Gasse hinauf zur Polizei. Dort ist mittlerweile niemand mehr. Leichte Verzweiflung macht sich in mir breit und der lange Wandertag tut seine Wirkung.
Ich umkreise die Kirche nach Auskunftsmöglichkeiten. Steuere in eine Bar, die ein bisschen wie ein Puff aussieht. Doch zu einer Puffmutter habe ich im Moment mehr vertrauen als zu irgendwelchen Machos. Mein Instinkt ist richtig und sie delegiert einen Gast als meinen Führer zu Josefas Haus, die eine Pension hat. Diese steht schon im Türeingang und hält Ausschau. Die Frage ist noch, wohin mit Putter, auf die Gasse, in den Patio oder ins Zimmer? Schliesslich darf er mit ins Zimmer, da er dort am wenigsten stört und gestört wird. Er hat eh nur noch schlafen im Sinn. Josefa ist ein Juwel, zeigt mir gleich die Dusche und bringt mir ein grosses Badetuch. Danach fühle ich mich wieder wie neugeboren. Sie verrät mir noch, wo man gut isst und ich mache mich auf den Weg. Lande im El Gato, bei einem sehr netten Wirt, der mir für EUR 7.50 Bier, Wein, Gazpacho, Wasser, einen Salat, Revuelto con tudo und Melone zum Dessert bringt. Seine 2 Töchterchen Anna und Leonor sind quicklebendig und neugierig und leisten mir sofort Gesellschaft. Für Putter kriege ich obendrein noch eine Restemahlzeit. Ende gut - alles gut!